Wo soll ich nur anfangen? Es ist eine Menge Eindrücke die es zu verarbeiten gilt. Erstmal: es ist geschafft. Der Alpencross ist geschafft. Das Projekt des Jahres mit dem größten zeitlichen und finanziellen Aufwand ist gemeistert. Ohne Abkürzungen mit Bus oder Gondeln. Über 300 km und 13000 Höhenmeter in 6 1/2 Etappen. Das sind etwa über 60 km und über 2000 Höhenmeter an einem Tag. Zu dritt waren wir unterwegs und alles was wir dabei hatten war trugen wir entweder am Körper oder in unseren kleinen Rucksäcken. Kein Begleitfahrzeug oder so ein Quatsch. Ein echter Alpencross ohne Schnörkel. Das ganze dann noch auf der Heckmair Route, der ersten Alpencrossstrecke, benannt nach dem Oberstdorfer Bergführer der die Idee von der Alpenüberquerung mit dem Bike real hat werden lassen.
Um die Masse an Erlebnissen zu bändigen werde ich chronologisch vorgehen. Wer an einem Reisebericht kein Interesse hat, den muss ich leider enttäuschen. Hier kommt die ausführliche Wahrheit unseres Alpencrosses.
Tag 0: Der Tag vor dem Startschuss. Wir sind bereit: die Route ist geplant, die Ausrüstung zusammengestellt, die Rucksäcke sind gepackt und das Bike geputzt und für die große Reise fertig gemacht. Auch der Körper wurde so gut es geht vorbereitet. Joggen, radeln und gesunde Ernährung statt täglich Gammelfleisch, Koks und Wodka zum Fernsehen.
Die Aufregung steigt. Ich bin nervös wie nur selten und komme kaum zur Ruhe. Abends kommt ein Anruf von Lennart: Er kommt nicht aus Stuttgart raus. Die Züge machen Quatsch und er schafft es nur bis Memmingen. Um 0.30 Uhr! Schluck. Ich muss mein frühes zu Bettgehen wohl streichen und eine Nachtfahrt einlegen. Also Kaffe kochen, alles soweit vorbereiten wie es eben geht und um kurz nach Mitternacht am Memminger Bahnhof stehen. Diese Nacht wird wohl kurz.
Tag 1: Drei Stunden Schlaf und doch aufgekratzt wie ein Kleinkind an seinem Geburtstag. Nicht gerade die besten Vorraussetzungen für eine Aktion wie die folgende. Um fünf Uhr geht es los. Johannes kommt mit dem Bike und seinen Rucksack. Alles wird ins Auto geladen und mein Bruder (danke an dieser Stelle) fährt uns nach Oberstdorf. 8:00 Uhr sind wir am Parkplatz, endlich geht es los. Hab ich an alles gedacht? Klappt alles mit den Unterkünften? Werd ich das körperlich schaffen? Wie werden wir drei miteinander auskommen? Alle diese Fragen sind spätestens jetzt egal, denn jetzt geht’s los.
Wir lassen uns Zeit und fahren gemütlich los um unser Thempo zu finden. Lennart checkt sein Navigationsgerät und Johannes freut sich über den Luxus seiner warmen Jacke. Wir sind tatsächlich unterwegs. Die Felswände um uns werden immer steiler und die Natur immer alpiner. Immer wieder müssen wir voreinander ausdrücklich betonen wie unglaublich schön alles ist. Es geht einige Rampen steil nach oben und ich komme schon ins schwitzen. Nicht zum letzten mal das ist mir schnell klar, als ich ein Blick auf das Höhenprofil auf dem Navigationsgerät werfe. Wir arbeiten uns immer tiefer in das Tal um unseren ersten Pass zu überqueren. Der Forstweg endet bald und mündet in einen verblockten Pfad.
Die erste Herausforderung an unsere Fahrtechnik. Der Boden ist nass und ein großer Stein nimmt Lennart die Kontrolle. Unser Mechaniker stürzt gleich mal drei Meter die Böschung hinunter und wird von einem Busch aufgefangen: Unser erster Sturz, gleich mal Glück gehabt. Der Ellbogen ist angeschlagen aber nicht tragisch verletzt. Schnell am Bach sauber gemacht schon ist der Zwischenfall nebensächlich, denn es wartet die nächste Herausforderung auf uns: Tragen. Der Zustieg zum Pass ist so eng, dass man sein Bike nur links Schultern kann um sein Leben nicht zu riskieren. Ein eisernes Schild macht uns hierauf aufmerksam. Beim Klettern verliere ich gleich mal meine Flasche. Kaum ist diese aus dem Halter gerutscht schon muss ich feststellen: Die ist dann wohl futsch. Verluste gehören wohl dazu.
Wir sind ein paar Stunden unterwegs und haben unseren ersten Pass überquert. Die Wanderer schauen nicht schlecht als sie drei jungen Männern mit Bikes über den Schultern begegnen. Zum langen Rasten ist nicht viel Zeit. Der Weg ist noch weit und es beginnt zu regnen. Kein Problem: Regenjacken sind für Regenwetter und nicht für den Rucksack gemacht, denken wir uns und hüllen uns ein. Es wir abenteuerlich und vor allem schmutzig. Wir prügeln uns, mehr schlecht als recht, die nassen und matschigen Trails bergab. Mann bin ich aus der Übung, das denk wohl nicht nur ich mir, sonder auch meine Begleiter beißen die Zähne zusammen. Wenigstens das. Irgendwann tragen wir unsere Bikes sogar bis zum besseren Weg bergab. Wer hätte das jemals erwartet? Da ist fahrtechnisch auf jeden Fall noch Luft nach oben. Der Regen lässt bald nach und irgendwann brennt sogar die Sonne wieder auf unsere Helme. Regenjacken ausziehen und weiter bergauf. Ab und zu einen Riegel reinschieben und durchgehend schwitzen. Man ist das anstrengend, aber auch irgendwie geil. Schwitzen aber mit Wonne.
Nach vielen Stunden, einem Shoppingstop zwecks neuer Trinkflasche, erreichen wir die Freiburger Hütte. An einem wunderschönen Gebirgssee mit dicken Pferden machen wir Mittag. Die Freiburger Hütte ist im Gegensatz zu unserem ersten Grad eher stark besucht von daher treiben sich auch einige Touristen aus dem Flachland herum. Direkt neben uns telefoniert ein Buissnesheini mit seinem Handy. Ein paar der Sätze haben wir wohl aufgeschnappt: ” Erfolge Erfolge. Wir brachen mehr Erfolge…ich bin immer für dich erreichbar…” was für ein armer Typ. Hat die zauberhafteste Landschaft der Welt um sich herum und ist innerlich immer noch im Büro. Später stellt sich heraus, dass er seiner Familie vorausgelaufen ist. Der Erfolgswanderer ruft einer nachkommenden Wandergruppe zu: “…als Erster oben! Ganz ohne Wanderschuhe…viel besser, wie gesagt….” schönen Urlaub wünsch ich noch. Wie unterschiedlich die Motive, die Alpen aufzusuchen doch sein können.
Wir müssen weiter: Bergab, wurde ja auch mal zeit. Irgendwie ist bergab schon leichter denken wir uns noch und schon ist der Spass auch schon wieder vorbei. Wir werden sicherer mit jedem Meter den wir auf den Trails zurücklegen. Johannes ist unglaublich dankbar für die Erkenntniss, dass es mit abgengten Sattel nur halb so schwer zu fahren ist und ich erfreue mich an meiner ausfahrbaren Federgabel. Eine Wonne!
Es geht noch ein letztes Mal bergauf und zwar ordentlich. Eigendlich hätte ich schon genug für heute aber unsere erste Unterkunft lieft noch 500 Höhenmeter über uns entfernt. Also: Zähne zusammen beißen, Energieriegel kauen und hoch geht’s. Mehr Berg hätte ich hätte ich auch nicht gepackt.
Am Kristbergsattel angekommen. Es ist etwa viertel nach vier und wir brauchen dringend ein Weizen. Das sollen wir auch bekommen. Die erste Etappe ist tatsächlich geschafft. 2300 Höhenmeter über 64 km plus Tragestellen. Der folgenden Ablauf wird in der kommenden Woche zur Routine werden: Zimmer suchen, Duschen, Umziehen, auf das Abendessen warten, die nächste Etappe durchsprechen, einschlafen zu einer lächerlich frühen Uhrzeit.
Fortsetzung hier…
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