Fortsetung von Teil 1 und Teil 2
Tag 4: Beim Frühstück treffen wir tatsächlich auf eine erwachsene Frau die sogar Englisch sprechen kann. Cappuccino und Frühstücksbüffet sind die Schlagwörter des Morgens und ich genieße jeden Moment am Kamin. Unsere Kleider sind über die Nacht, auf 2600 Metern über dem Meer und bei wenig Wärme nicht getrocknet. Das bedeutet, dass unser Tag anfängt wie der gestrige aufgehört hat: durchnässt. Die Rechnung wird bezahlt und ich schenke dem Jungen meine restlichen Schweizer Franken. Der Service vom Vorabend war ausgesprochen herzlich und für den Rest der Reise kann ich das schweizer Kleingeld sowieso nicht gebrauchen.
Die Bikes werden also aus dem Kabuff gezogen und der nasse Hintern darf sich gleich mal wieder mit den Gedanken an einen langen Tag gewöhnen. Wenigstens geht es erst mal bergab.
Was als nächstes kommt ist in meiner Erinnerung der härteste Tag der ganzen Reise. Regen Regen Regen und keine Aussicht auf ein warmes Plätzchen. Nachdem wir einen netten kleinen Gebirgsort in Italien durchquert haben um dabei festzustellen, dass eine Einkaufsmöglichkeit für Brotzeit frühesten in drei Stunden öffnet schieben wir die Fahrräder geschmeidig die Skipiste nach oben. Das Thempo und die kalte Luft lässt mich wieder einmal feste schnaufen und ich bemerke, dass wir auf alle Fälle im Laufe der letzten Tage ordentlich an Höhe zugelegt haben. Die Luft ist spürbar dünner.
Wenn das Wetter sonnig und die letzte Nacht erholsamer gewesen wäre könnte ich die folgenden Trails noch mehr genießen. Über Wiesen und durch Wälder zieht sich unser Weg an der Höhenlinie entlang und meine Bremsen müssen unter Beweis stellen, dass sie auch bei Nässe und bei Dreck ihren Dienst zu verrichten in der Lage sind. Die Trampelpfade verlangen uns einiges an Kraft ab und das Wetter beginnt mich ernsthaft anzukotzen. Wenn das so weiter geht dann wird das auf jeden Fall kein schöner Tag mehr werden. Der einzige Trost ist die Idylle über die wir uns freuen dürfen. Alte verfallene Hütten, Kühe und Schluchten zeichnen das Bild des Vormittags. Ein Alpencross ist eben kein Strandurlaub und das wird uns heute sehr deutlich.
Irgendwann stoßen wir auf eine weitere Hürde: der Weg war so schlammig, dass unsere Reifen und unsere Ketten komplett mit einer Schlammschicht bedeckt sind. An Weiterfahren ist nicht zu denken. Wir müssen unsere Gefährte im Fluss waschen. Das frische Gebirgswasser ist denkbar kalt und so wird unsere Waschaktion schnell zu einer Zitterpartie für Hände und Füße, die den direkten Kontakt mit dem kalten Nass nicht vermeiden können. Abgerundet wird die Szenerie von einer Herde Kühe die in uns Reisenden eine willkommene Abwechslung für ihre neugierigen Augen finden. Was für ein wahnsinnig seltsames Bild.
Mein Körper hat mittlerweile alles an Restwärme unter meine Regenjacke gezogen. So schön die Landschaft, so waghalsig unsere Abfahrten und so ansprechend die Trails auch sein mögen: die Kälte ist nahezu alles an was ich mich an diesem Tag erinnern werde. Auch wenn streckenweise der Weg zum Fluss wird und das lange erwartete Abenteuer direkt vor dem Lenker zu finden ist.
Ich habe was meine Ausrüstung betrifft während der Woche nichts vermisst. Nur für ein paar Neoprensocken hätte ich an diesem 4. Tag wohl jeden Preis gezahlt.
Die Etappe erlaubt keine langen Pausen. Zu langsam kommen wir voran und zu weit ist unser Zielort entfernt. Außerdem brauchen wir dringend was zu Essen. Unsere Riegel und unsere Traubenzuckervorräte sind aufgebraucht und unser Körper könnte bei den Temperaturen dringend Kohlenhydrate gebrauchen.
Ich bin froh, dass die Stimmung der Gruppe nicht umschlägt. Trotz aller Strapazen für uns alle bleiben wir ein Team. Auch unsere Bikes haben bisher jeden Kilometer mit Bravour gemeistert. So erdulden Mann und Bike jeden Meter und jeden Regentropfen.
Nachmittags kommen wir endlich wieder aus dem vernebelten und veregneten Tal und der Himmel lichtet sich. Eine endlose Serpentinenstraße führt uns die Meter die wir uns erst mühsam hochkämpfen mussten nach unten. Wir erreichen den italienischen Ort leider in der Mittagspause, die in diesem Land leider bis halb vier andauert. Wir sitzen tatsächlich auf dem trockenen. Wir nutzten die zaghaft stärker werdende Sonne um uns endlich einmal aufzuwärmen. Alle Klamotten sind nass und durchgeweicht und so ziehen wir so gut wie alles aus. Meine Füße brauchen eine Ewigkeit und viel Massage um wieder ein wenig Gefühl zu bekommen. Zum Glück ist es nicht mehr weit. In Zwei Stunden sollten wir unser Ziel erreichen
Weit ist es nicht mehr aber zäh. Der leere Magen macht uns allen zu schaffen und an der Staße von waghalsigen Fiatfahrern und Rennrädern überholt zu werden lässt die restlichen zwei Stunden nicht unbedingt zu meiner Lieblingsstrecke werden. Doch auch diese Strecke geht vorbei.
Wir haben in Santa Catarina, einem verlassenen Skitouristenort kein Zimmer reserviert und so müssen wir uns noch auf die Suche nach einer Bleibe machen. Mit Hilfe der süßen Lady an der Infostelle und nach einem Ausflug durch den halben Ort kehren wir in eine gemütliche Pension ein.
Lennart bekommt endlich die Möglichkeit sich eine lange Hose zu besorgen. Mit kurzer Laufhose langen Socken und nackten Knien ist es schlecht Pizza essen zu gehen, wobei das hier anscheinend niemand stören würde.
Wir sind mal wieder die einzigen Gäste in der Pension und auch beim Pizzaessen treffen wir lediglich auf ein altes Ehepaar denen die vielen Jahre Gastronomie deutlich ins Gesicht geschrieben sind. Pizza, Weißwein und Cappuccino. Der Tank ist wieder aufgefüllt und die Laune bessert sich von Minute zu Minute.
Auch die Lebensmittelvorräte sind wieder gefüllt, dank einem kleinem Lebensmittelladen der ein echtes Highlight darstellt. Der Kassierer trägt eine Schürze und schmeißt Käsetheke, Wursttheke, Beratung und Kasse zugleich. Hier findet man alles was der Mensch braucht. Ein echtes Original, vollgestellt bis unter die Decke und so gemütlich, dass man noch länger als nötig bleiben möchte.
Die Etappenplanung für morgen findet heute mit Bier, Keksen und Chips statt. Anscheinend haben wir doch noch einiges nachzuholen was Nahrungsaufnahme betrifft.
Tag 5: Unglaublich was das Wetter ausmacht. Wir sind spürbar beflügelt. Unsere Körper haben sich langsam daran gewöhnt, dass diese Woche wohl keine Erholung zu holen ist und der Gedanke an all das schon Geschaffte lässt uns das Frühstücksbüffet in feierlicher Stimmung abgrasen.
Unsere Pesionsmutter war so freundlich unsere Sachen über Nacht zu waschen und zu trocknen und die Sonne scheint schon heute morgen in voller Pracht in unsre Balkontüren. Heute ist ein guter Tag. Besser als gestern kann es ja nur werden.
Der Tag auf dem Bike beginnt mit einer gehörigen Auffahrt auf 2600 Höhenmeter. Auf Asphalt wohlgemerkt. Von daher ist der Wegesrand gepflastert mit den leeren Energiegels und Traubenzuckerpackungen der örtlichen Rennradfahrer. Italien ist nun mal ein Land der Räder mit den schmalen Reifen. Weiter und weiter geht es bergauf und obwohl ich schon wieder schwitze freu ich mich zutiefst darüber, dass ich bin wo ich bin: In der Bergen auf meinem Mountainbike.
Wir überholen unsere Schummelgruppe, die machen gerade mal wieder etwas Pause und nach gut zwei Stunden erreichen wir unseren Platz an dem wir unser Gipfelbier und die restlichen Chips verzehren können. Irgendwie absurd so auf etlichen Höhenmetern, in der Felslandschaft inmitten von Nebel an einer Autostraße zu sitzen als liefe nebenbei die Sportschau. Aber irgendwie auch gut.
Wir besichtigen mit einigen weiteren Touristen, die mit dem Auto oder dem Motorrad hier hoch gefahren sind noch ein wenig die gruselig neblige Landschaft auf dem Gipfel bevor wir uns der Abfahrt widmen. Serpentinen soweit das Auge reicht und noch weiter. Wir überholen Autofahrer, lassen Schafherden links liegen und das alles nicht unter 40 kmh. Die Bremsen werden heiß. Plötzlich tut sich ein Tunnel vor uns auf. Au Backe, der ist ja gar nicht beleuchtet! Absolute Dunkelheit und immer noch ein sattes Tempo unterm Hintern. Zum Bremsen zu spät. Die Lampe liegt weit unten im Rucksack und die jetzt zu suchen wäre Quatsch. Schemenhaft kann ich 10 Meter vor mit Lennart erkennen, der sich vermutlich gerade das selbe denkt wie ich. Wenn das mal gut geht. Mit Hilfe der schwach schimmernden Mittellinie und viel Angstschweiß bezwingen wir die Kurve in der Mitte des Tunnels und endlich lässt sich ein Ende der Dunkelheit erkennen. Erst mal kurz durchatmen. Wenn hier jemand engegen gekommen wäre oder der Boden nicht gehalten hätte wie erhofft dann Gute Nacht. Für ein Foto ging das ganze dann doch zu schnell und ein schwarzes Bild bringt auch niemanden etwas.
Zum Mittagesen ist es noch zu früh und daher liegt noch einiges vor uns. Der restliche Tag wird noch wesentlich anstrengender als ich bisher befürchten konnte. Kein Wunder: wer bergab fährt macht sich ja auch wenig Gedanken übers Bergauffahren.
Landschaftlich sind wir nun endlich in Norditalien angekommen. Wir durchqueren ein süßes kleines Bergdorf und schlagen unseren Weg in ein idyllisches langes Tal ein. Bevor es zu den Trail geht muss zuerst noch bergauf gefahren werden. In der Hitze und angesichts der unmenschlichen Steigung mach ich schlapp. Was ist besser schieben oder sich Meter für Meter im Wiegetritt nach oben zu kämpfen. Ich merke das mir für heute die Lust am Bike vergangen ist. Da hilft auch kein Mörderausblick und auch das Picknick lässt meine Begeisterung nur kurz aufblitzen. Als ich dann auch noch stürze, nicht schlimm aber schlimm genug im meine Laune in den Keller wandern zu lassen, ist der Rest des Tages für mich erstmal gelaufen. Mein Kreislauf ist im Keller. Meine Bremse ist durchgebremst und mein Rücken tut weh. Und warum ist das ganze hier so verdammt steil. Die Trails sind eigentlich traumhaft und dazu noch unendlich. Doch genau das ist was mir gerade Sorgen macht. Ich bin konzentrationstechnisch am Ende. Man ist das steil. Ich bekomme es tatsächlich mit der Angst zu tun als wir dem Trail an den Höhenlinien entlang folgen und meine ohnehin schon wackeligen Beine bringen so gut wie keinen Druck mehr auf. Ganz schön anstrengend ganz schön tief.
Ich reiße mich zusammen. Hilft ja nichts. Wenn ich nicht versuche das ganze hier zu genießen dann wir die Aktion eher ein Reinfall und das will schließlich niemand. Endlich verlassen wir das steile und felsige Gelände und der Trail führt uns über Skipisten in mir vertrautere Gefilde: Waldtrails. Auf eine vernünftige sichere Geschwindigkeit gebe ich mittlerweile nichts mehr. Ich muss meine Bremse schonen. So heizten wir immer weiter unsrem Tagesziehl und damit auch unsrem finalen Ziel entgegen. Gerade noch gut gelaufen. Weiche Knie aber keine Schäden.
Unsere Tagesplanung ging bis zu einem kleinem Ort in dem Touristen eher eine Seltenheit sind. Daher ist die Auswahl an Unterkünften eher übersichtlich. Es gibt ein Hotel an dem man mit oder ohne Abendessen buchen kann. Das Abendessen kostet 20 Euro pro Person mehr. Wir entscheiden uns für die Rock’n’Roll Variante: Übernachtung mit Frühstück aber das Essen besorgen wir im Supermarkt. Nach kurzer Zeit ist das noble Zimmer verwüstet: Schmutzige Bikekleider, Handtücher, Ausrüstung, Verpackungen von unseren Einkäufen, Bierdosen und ein improvisiertes Abendbuffet mit Hilfe eines Realbrettes auf dem Bett verteilen sich regelmäßig im Zimmer. Wir fühlen uns wie drei Vandalen. Selten habe ich mich so über eine Madratze wie heute gefreut.
Unglaublich müde bin ich. Wir schaffen gerade mal die Hälfte des eingekauften Essens und auch mit dem Bier haben wir uns mal wieder übernommen. Noch mehr Betäubung ist wohl nicht nötig. Warum auch?
Fortsetzung: letzter Teil hier
Also die Kühe sind ja großes großes Kino 🙂 Und der Rest natürlich auch!