Auf der einen Seite bin ich sehr konsumkritisch und ein großer Freund des Minimalismus. Ich ziehe es vor, mich mit wenigen Dingen zu umgeben. Dinge, die ich wirklich brauche und die mich wirklich glücklich machen, alles schön geordnet und aufgeräumt um mich herum.Marie Kondo ist mein Patronus.
Andererseits gönne ich mir aber auch gerne neue Dinge, die ich nicht wirklich brauche, aber unbedingt haben muss. Ich brenne für Ausrüstung und Ausstattung.In meinem Wunsch nach mehr Minimalismus träume ich einerseits von einem sortierten, überschaubaren Kleiderschrank mit nur wenigen ausgewählten Stücken – drei Hemden, zwei Hosen, ein frischer Schlüpfer, fertig. Denn zu viele Besitztümer schränken ja auch ein.
Andererseits befinden sich in meinem Kleiderschrank derzeit unter anderem 5 Radtrikots und 7 Westen. Und wirklich alle 7 Westen sind für mich enorm wichtig. Sie engen mich überhaupt nicht ein, höchstens vielleicht meinen Bauch.
Seit kurzem skizziere ich gerne, wenn ich unterwegs bin. Urban Sketching nennt man das und es ist toll. Man braucht dafür fast nichts. In meiner Tasche ist immer Platz für einen Zeichenstift und Papier. Einerseits
Andererseits habe ich auch 4 Aquarellkästen. Einen großen mit einer großen Auswahl an Farben. Einen kleinen für unterwegs. (Haha.) Und einen sehr leichten (auch) für unterweges. Dann habe ich noch einen ganz kleinen aus Holz. Den musste ich einfach bestellen. Gerade als ich das getan habe, erscheint mir Marie Kondo und ermahnt mich. “Jobinski Sun. Deine vielen Dinge erdrücken dich! Befreie dich!”
Ich antworte: “Ja, du hast Recht, Marie Kondo Sun. Aber der hier ist total wichtig. Ich brauche die ganzen Kästen natürlich, um mich als Künstler ernst zu nehmen, und ganz ohne Künstlerbedarf kann man schließlich keine Kunst machen.” Den Stapel von 8 noch eingeschweißten Skizzenbüchern in meinem Regal lasse ich unerwähnt. Marie Kondo muss nicht alles wissen.
Einerseits und andererseits
Das Krebsgeschwür des Kapitalismus und des Überflusses heißt Black Friday. Wenn all die Idioten Dinge kaufen, von denen sie vorher nicht wussten, dass sie diese brauchen würden, nur weil sie ein paar Euro billiger sind, kann ich nur mit den Augen rollen. Dann klopft mir Marie Kondo auf die Schulter. Sie sieht das ganz ähnlich. Dieser Konsum um des Konsums willen. Wir hassen das ja… Einerseits.
Andererseits sind Schnäppchen auch meine Achillesferse. Ich sparemit Hilfe von Schnäppchen so oft und so viel, dass ich gar nicht weiß, was ich mit dem ganzen gesparten Geld anfangen soll. Von wegen. Ich weiß immer genau, was ich mit meinem gesparten Geld machen soll. Noch mehr sparen. Mit noch mehr Schnäppchen. Sagen wir es mal so: Meine Sparsamkeit treibt mich in den Ruin.
Wie viele Dinge habe ich schon gekauft, nur weil sie quasi umsonst waren.v Dinge, von denen ich später feststellen musste, dass sie doch nicht geeignet oder sinnvoll sind und ich sie in Wirklichkeit völlig umsonst gekauft habe.
Das jüngste Beispiel dafür ist das Thema Tastaturen. Achtung, an dieser Stelle wird es peinlich für mich. mAls Blogger und Bühnenautor bilde ich mir ein, dass ich eine gute, aber auch schicke Tastatur haben muss. Das wusste ich vorher auch nicht. Bis mich eine Werbung darauf aufmerksam gemacht hat. Noch bevor Marie Kondo zu meiner Rettung kommen und mich vor meinem Kaufreflex bewahren kann, weiß ich mich zu rechtfertigen.
“In einer aufgeräumten und stilvollen Umgebung fühle ich mich motiviert und inspiriert, epische Texte zu tippen. Auf einer schönen Tastatur fließen die brillanten Texte ganz von selbst von meinen Fingern auf die Tasten. Dann würde ich in Zukunft auch viel weniger Zeit mit Onlineshopping verbringen, dafür aber viel mehr Zeit mit dem Schreiben.”
“In Ordnung Jobinki Sun. Darauf alsse ich mich ein.”
Zunächst einmal fällt mir auf, dass die schicken Tastaturen ziemlich teuer sind. Vielleicht kann man sie billiger bekommen? (Schnäppchen und so) Auf Ebay finde ich eine coole Retro-Tastatur. Die hat Potential. Dazu würde ich einfach neue stylische Tasten kaufen. Die sind zwar nicht ganz umsonst, aber auch richtig schick. So eine individuelle Tastatur hat sonst keiner. Sofort bestellt.
Oh! Sie passen überhaupt nicht zusammen. Die Tasten sind zu groß. Ich brauche eine andere Tastatur, damit meine schicken Tasten passen. Die Geschichte geht noch lange weiter. Ich mache es kurz:
Ich habe jetzt vier Tastaturen und zwei Sätze stylischer Tasten zu Hause. Und das alles zu einem Preis, der weit über dem der einen schönen Tastatur liegt, die mir ursprünglich zu teuer war. Übrigens tippe ich diesen Text mit meiner alten Tastatur. Sie funktioniert schließlich am besten. Und zwar überhaupt. Die Hauptsache ist, dass ich etwas gespart habe und die Hauptsache ist, dass ich nicht auf den Black Friday hereinfalle.
Wenn Ihr jetzt denkt, wie blöd ist dieser Jobinski eigendlich. Dann solltet ihr euch überlegen, was ist eure persönliche “Tastatur”? Wer frei von Fehlkäufen ist werfe den ersten Rabattcode. Was würde Marie Kondo zu mir sagen? Ich kann sie nicht fragen. Sie gehostet mich. Hat wahrscheinlich aufgegeben. Kann ich anchvollziehen.
Niemand braucht eine besonders schicke Tastatur, um gute Texte zu schreiben. Um gute Texte zu schreiben, muss man vor allem mehr schreiben. Weniger einkaufen.
Niemand braucht vier Farbkästen, um ein guter Zeichner zu sein. Genauso wenig sollte jemand mehr Stunden seiner Freizeit damit verbringen, nach passenden Fahrradsocken für sein 6. Fahrradtrikot zu suchen, als tatsächlich in seiner freizeit Rad zu fahren.
Einerseits und Andererseits
Einerseits ist mein Verhalten dumm. Weil es so inkonsequent und absurd ist, ist es für euch bestenfalls unterhaltsam. Auf der anderen Seite ist es aber auch total heuchlerisch. Bei all dem absurden und überflüssigen Zeug, das ich bestelle und biete, fühle ich mich gleichzeitig moralisch überlegen. Schließlich kaufe ich ja nicht beim bösen Amazon, sondern, als ob das ein bisschen besser wäre, bei ebay.
Ich kaufe mit gutem Gewissen die 7. Fairtrade-Weste aus Bio-Baumwolle, ohne auch nur einen Hauch von Widerspruch zu spüren.
Ich träume ja von einem Konsumverhalten, bei dem ich ehrlich zu mir selbst bin. Ich träume davon, mit nur einem (maximal zwei) Radtrikots und einem einzigen Aquarellkasten im Gepäck glücklich auf dem Fahrrad zu sitzen, statt vor Ebay. Und natürlich träume ich weiter vom Minimalismus. Marie Kondo, bitte melde dich!
Wie recht du hast (wenn ich was zu melden hätte, würdest du für »Wer frei von Fehlkäufen ist werfe den ersten Rabattcode« für einen Literaturpreis nominiert werden). Allerdings sind wir hier seit mindestens 30 Jahren (Stichwort: »Geiz ist geil!«-Werbung) komplett gehirngewaschen, was Konsum angeht: Selbst als zahlender Abonnent muss ich bei Online-Medien zappelnde Dauerwerbung über mich ergehen lassen, jede Werbefläche (von denen es mehr als genug gibt) brüllt mich an, sofort zu konsumieren. Unsere ganze Gesellschaft ist auf Konsum ausgerichtet, also unnötigem Kauf statt tatsächlicher notwendiger Bedürfnisbefriedigung.
Individuelle Verweigerung ist löblich (und wird von vielen, mich eingeschlossen, punktuell praktiziert), ändert aber nichts am Kapitalismus und seinen Krebsgeschwüren (von denen es unzählige gibt). Das zu verstehen ist allerdings schon ein ganz großer Schritt in die richtige Richtung
Kommunistische Grüße gehen nach Würzburg!