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Die Sonne schwindet und die Frage nach dem “Wie weit heute noch?” drängt sich mehr und mehr auf. Im Dunkeln über große Steine stolpern wollen wir nicht. Darum sind wir froh, dass es im Moment noch so flüssig über Rad- und Forstwege geht. Endlich komme ich zumindest ein bisschen vorran.
Es wird dunkler und unsere vor uns her flackernden Lichtkegel werden von Minute zu Minute sichtbarer. Ich mag das ja, wenn man in die Dunkelheit hinein fährt. Was mir nicht gefällt sind die Blitze, die vor uns in die Landschaft zucken. Starke Gewitter machen sich sichtbar und das nicht zu knapp. Vor uns wird es ungemütlich und hinter uns auch. Unbewusst ziehen wir das Tempo an. Immer wieder und öfter Blitze. Vermehrt auch Donnergrollen. Wir fragen nach einem Restaurant, einer Kneipe oder ähnlichem und wie so oft in kleinen Orten lautet die Antwort , sowas gibt es in … nicht. Da müsst ihr weiter fahren nach …
So wird es auch gemacht. Wir fahren Weiter nach Neuhof. Auch wenn laut Regenradar nach einer Stunde alles vorbei sein soll, sind wir beruhigt als wir ein Gasthaus betreten. Zeit zum Essen ist es sowieso immer.
Ich bestelle ein Kinderschnitzel das für zwei ausgewachsene Bergarbeiter reichen würde und dazu gibt es leckeres Bier aus der Gegend.
Die jungen Menschen am Tresen sind ganz interessiert an unseren bemerkenswerten Aufzug sowie an unserem Reiseziel und hören gespannt zu als wie ihnen von unserer Tour erzählen. Sie wissen auch einiges zu berichten. Zum Beispiel was es mit diesen riesigen weißen aufgeschütteten Bergen auf sich hat (Kali aus dem Bergbau) und außerdem welchen Schnaps wir unbedingt probieren müssen.
Wir sind nicht ganz sicher aber letztendlich sind wir dann auch von der Qualität der “alten Marille” überzeugt. Ich habe beste Laune und bin ziemlich aufgekratzt. Essen im Bauch, Strecke in den Beinen und Alkohol in der Blutbahn. Zeit wieder aufzubrechen und ein passendes Lager für die Nacht zu suchen.
Der Regen ist tatsächlich vorbei oder ausgeblieben, das weiß ich nicht mehr genau. Jedenfalls ist es dunkle Nacht als wir unsere Räder wieder durch die Finsternis treten. Eine Stunde seit der letzten Pause fahren wir etwa noch weiter. Immer den Scheinwerferlichter hinterher. Nachtfahrten ist toll. Wenn man ein Rücklicht hat, dem man hinterher fahren kann umso mehr.
Bald macht sich Müdigkeit breit. “Kann man hier schlafen?” “Keine Ahnung?” “Später kommt bestimmt noch was besseres.” Das stimmt. Was zunächst nur als eine Toilette am Wegesrand dienst entpuppt sich als ziemlich guter Schlafplatz. Beim Angel- und Stocksportverein Fulda gibt es eine prima überdachte Terrasse. 20 qm zum Ausbreiten und trockenen Liegen. Wir sind nicht wählerisch und waren schon beim Gedanken an den wartenden Schlafsack überzeugt.
200 km sind es nicht geworden an diesem ersten Tag. Doch das können wir ja alles morgen nachholen.
Zahlen des Tages: 185 km, 2610 Höhenmeter, 10 Stunden im Sattel, Distanz bis zum Ziel: 480 km
Der Zweite Tag ist ein Regentag.
Es regnet noch nicht als wir unsere Matten und Schlafsäcke einrollen und die Zähne im Morgengrauen putzen. Bis zum Frühstück bleibt es trocken. Erst als wir unsere kaffe und Backwaren befüllten Bäuche aus der Bäckerei des Supermarktes in Fulda tragen ist steht fest, dass wir ein Ende des Regens nicht abwarten brauchen. Heute wird es nass. Also nicht lange Abwarten sondern gleich Warmradeln. Andreas kann das sehr gut. Sich Warmradeln wenn es kalt wird. Ich bin froh, dass er das kann, denn auch hinterher radeln macht warm.
Die Kunst beim Erfahren von langen Strecken ist folgende: Man muss sich in Momenten in denen es schlecht läuft, etwas schief geht und die Laune im Keller ist immer vergegenwärtigen, dass das nur in diesem Moment so ist. Später, spätestens aber morgen wird alles wieder ganz prächtig sein. Wenn man dieses Prinzip verinnerlicht hat, kann man womöglich jede Strecke zu fast allen Bedingungen bewältigen. Eine Lektion die nicht nur beim Radeln gilt.
So lässt sich auch der Dauerregen aushalten. Ich freue mich jedenfalls über meine Schutzbleche. Dank denen bin ich nicht sofort sondern erst nach zwei Stunden durch und durch nass. Dauerregen. Alles zieht sich. Die weißen KaliBerge wollen und wollen nicht an uns vorbeiziehen. Ein Schild mit der Aufschrift “Achtung Staubentwicklung” schein reiner Hohn. Hier staubt heute ganz nichts.
Am Vormittag gegen 11 Uhr erreichen wir Checkpoint Alpha. Eine Gedenkstätte an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Hier stehen noch Teile der alten Maueranlage samt Stacheldraht und Wachturm. Gänsehaut.
Irgendwie komme ich den ganzen Tag über nicht so richtig rein. In gar nichts. Nicht ins Treten, ins Unterwegs sein, ins Vergnügen. Immer wieder regnet es. Mal weniger mal heftiger. Die Waldwege werden zu kleinen Bächen und lassen meine dünnen Reifen immer wieder durchdrehen. reifen mit Profil wären jetzt geil. Ich muss mich die Steigungen wichtig hochwühlen. Das zerrt an den Kräften. Auch auf den Asphaltstücken traue ich der Reifenhaftung bald nicht mehr. Immerhin werden die Räder wieder sauber gewaschen. Auch die Aussicht auf der Rhön ist immer wieder Atemberaubend, vor allem wenn man gerade bergauf getreten hat.
Die niedrigen Temperaturen und der Wind saugen an den Reserven . Endlich kommen wir an einem Supermarkt samt Bäckerei vorbei. Aufladen was geht. Neben Bananensaft, Nüssen und Wurft greifen Andreas und ich auch zur regionalen Spezialität, dem Pfefferminzschnaps, dem “Pfeffi”. Wer weiß wozu der noch gut sein kann. Die Verkäuferin der Bäckerei ist ganz begeistert von den vielen verschlammten Gestalten, die ihre Kuchentheke und ihre Kaffeemaschine leer kaufen. Sie fragt warum wir nicht morgen fahren. Da wird das Wetter viel schöner. Eine gute Frage finde ich.
Die Stunden vergehen und die Strecke schmilzt langsam aber stetig dahin. Eine alte Sägemühle bietet eine willkommene Möglichkeit zur Rast und zu strategischen Überlegungen.
Laut Kodex müssen die Fahrer zwischen 9 uhr abend und 9 uhr morgens 5 stunden am Stück Pause machen. Wir fassen deshalb den Plan, uns um 9 Uhr Abends möglichst bald einen Platz zum Schlafen zu suchen und morgen möglichst früh wieder aufzustehen. Morgen soll das Wetter besser werden und warum soll man sich durch den Regen plagen, wenn man die gleiche Strecke auch bei Niesel hinter sich bringen kann?
Ein guter Plan. Auch wenn bis 21 Uhr noch eine ganze Zeit zu fahren ist. Kalt wird mir auch. Was für ein anstrengender Tag. Wundervoll. So lieben wir das doch, reden wir uns gegenseitig ein. Bei einem älteren Herren fragen wir nach Wasser für unsere Trinkflaschen. Auf unsere Schilderung was wir denn so machen und warum wir zu schmutzig sein, fragt er warum wir denn nicht die ganzen guten schönen Radwege benutzen? Auch eine Gute Frage wie ich finde.
Auf dem Hainich, einem Hügel in Thüringen der auch Nationalpark ist, weil es so schön ist, kommt die Erlösung. Eine bewirtschaftete Hütte. Diese bietet einen regenfreien Platz und Wärme. Hier brennt sogar ein Holzofen und es gibt warme Gerichte. Wir sind nicht die einzigen Candy fahrer die es hierher gespült hat. Das Geweih über dem Herd wird mit nassen Socken und Handschuhen behängt. Überall hängen dampfende Radklamotten.
Essen und Getränke in rauen Mengen werden bestellt. Heiße Zitronen, Weißbier und Kartoffelsuppe. Als regionales Special gibt es “Fettbemme”, sprich Brot mit Schmalz. Es läuft Apres Ski Musik der mittelgradig schlimmsten Sorte. Macht nichts ich bin am richtigen Fleck. Übernachtungen werden gebucht. Nicht für mich. 35 Euro sind mir zu teuer und Platz gibt es auch keinen mehr. Auch wenn der Gedanke an eine warme Dusche und ein trockenes Bett schon sehr verlockend ist.
Das Bargeld ist eh knapp und so werden die übrigen Euro lieber in noch mehr warmes Essen investiert. Andreas geht es ähnlich. Er bleibt für heute mein Begleiter was mich sehr freut.
Freudig sind auch die anderen Besucher der vermeintlichen Berghütte. Diese ist, wie ein Fotobuch belegt, gar keine “originale “ Berghütte sondern eine 2007 mit dem Kran angekarrte Fertighausfälschung und mehr eine Touristenatraktion. Den Einheimischen ist das gerade egal. Diese sind froh über die Ablenkung und ganz begeistert von unserer Geschichte. Klingt ja auch beeindruckend. 640 km von Frankfurt nach Berlin. Und das ganz ohne e-Bike. Ja die Frage wurde gestellt. Eine weniger gute Frage wie ich finde.
Eine kräftig gebaute Frau mit thüringer Akzent möchte die nunmehr spärlich bekleideten Radfahrer am liebsten zum Apres Bike Tanz auffordern, oder gleich mit nach Hause nehmen. Sie ist so aufgedreht und gleichzeitig bierselig angerührt, dass es vor lauter Fremdscham schon ein wenig weh tut. Sie freut sich, “dass sie das noch erleben kann”, was genau sie damit meint verstehe ich nicht so recht. Die Gute Frau ist keine 40 Jahre alt. Vielleicht ist in “Berka vor dem Hainich” wirklich sehr sehr wenig los.
Der Garmin spricht von 5 Grad. In die klammen Kleider zu kriechen und wieder nach draußen zu treten ist daher ein eher unangenehmes Unterfangen. Schnell los trampeln. Los los bis zu einem geeigneten Schlafplatz.
Die Abfahrt Richtung Bad Langensalza, durch das matschige Grün der Wälder ist viel weniger schlimm als befürchtet. Die Bewegung tut gut und wir sind froh nicht in einer teuren Unterkunft zu liegen und uns an der Dusche anzustellen. Klar war es hart, nicht wie die anderen Fahrer in die Pension einzuchecken. Doch wir sind mal wieder genau am richtigen Ort. Das es hier nass ist ist gar nicht mehr so schlimm.
Die Sonne schwindet allmählich und unser Plan, heute möglichst früh die verordnete Ruhepause einzulegen wird bei der nächsten Gelegenheit in die Tat umgesetzt. Als wir an einem Bretterverschlag vorbeirauschen, bremsen wir scharf ab und brauchen keinen zweiten Blick in die Schutzhütte, Bushaltestelle ohne Busanbindung oder was auch immer zu werfen.
Der Pfeffi wird geköpft und auf unsere Tapferkeit angestoßen. Eine Wäscheaufhängung ist schnell improvisiert und auch der geliebte Daunenschlafsack in hektischer Vorfreude mit kaltem Mensch befüllt. Morgen wird es schönes Wetter geben. Hoffentlich.
Zahlen des Tages: 135 km. 2298 Höhenmeter 8,5 Stunden im Sattel. Distanz bis zum Ziel: 344 km, Stunden bis zur Weckzeit 5.
Fortsetzung gibt es hier. Ein Fazit und ein Video folgen in Kürze
Hui. Der Regen war doch sehr punktuell und kam wohl von hinten. Wo ihr noch gut gefahren seid, hat es mich schon um 6 weggespült. Rein in die Pension. Wollte zuerst Neid über die Heinichhütte ausdrücken, aber ich glaub es war ganz ok so 😀 Es waren einige satte Schlammlöcher nach der Pension und vor dem Hainich durch den Regen. Eure Leistung hat sich also satt gelohnt….
Seit langem mein “Motto”. It’s only a phase. Alles geht vorüber. Schlechtes wie Gutes. https://youtu.be/cgACoOZ3T9g?t=3m10s
Klasse, das Motto und dein Bericht. Muss öfters Schmunzeln und mir ist, als wäre ich dabei gewesen 🙂
In Anlehnung an Haralds Video hab ich da auch noch was passendes….zwar auf die Liebe bezogen, aber durchaus übertragbar 😉 https://www.youtube.com/watch?v=IUxwrPNUJJI
Sehr coole Berichterstattung (vor allem über das Abendessen in der Fertighaushütte im Hainich)