Vorsatz 2018: Im Zweifel öfter mal zuhause bleiben.

Dass ich hergekommen bin bereue ich nach drei Sekunden.

Ich bin der Einladung, das Neujahrskonzert eines Gymnasiums zu besuchen gefolgt und mir wird sofort klar: Es war ein Fehler das Haus zu verlassen. Wie schon so oft hätte ich mich für netflixt gute Zeit auf dem Sofa entscheiden sollen. Allerdings habe mir den Vorsatz gemacht öfter mal die Wohnung zu verlassen und weniger zu versumpfen. Jetzt habe ich mich aufgerafft und auch den Salat. Raffe dich niemals auf, wenn du mit Wollsocken auf dem Sofa liegst.

Das Konzert ist auf 2 Stunden angelegt und wird eröffnet von “der Rockband”. “Rockband” so steht es auf dem Programmzettel aus dem Schulkopierer.

Rockmusik. Diese kraftvolle Musik, diese Geräusch gewordene Energie. Rebellion und Auflehnung verpackt in verzerrten Gitarrensound und  knallenden Drums.  Weit gefehlt.

Was ich höre ich keine Rockmusik. Schüchtern holprig schlängeln sich die 5 Dilletanten durch die grobe Struktur von Linkin Parks “Numb” . Der Schlagzeuger vergisst, dass er Tempo halten und nicht suchen sollte, der Gitarrist hat sich mühevoll eine vereinfachte Melodie des Klassikers antrainiert und ist so sehr in die Wiederholung dieser vertieft, dass er nicht mitbekommt was um ihn geschieht. Gut für ihn. Der schlechtere der beiden Gitarristen ( was nicht leicht zu bestimmen ist) spielt Bass. Hochkonzentriert und dennoch weit neben dem Takt. Wie auch die anderen Instrumentalisten starrt auch die Keyboarderin verbissen auf ihr Instrument. Was ich hier erlebe ist Rock’n’Roll mit angezogener Handbremse. Wirbelsäulen aus Beton.

Anders als die Sängerin. Was ihren Bandkollegen an Bühnenpräsenz und Performativer Qualität fehlt versucht sie durch ihr Erscheinungsbild auszugleichen. Was ihr nur zum Teil gelingt.

Wie eine minderjährige Stripperin an der Stange tänzelt sie um den Mikrofonständer. Dabei singt sie sehr laut und sehr schrill. Bei den höheren Tönen verspüre ich körperlichen und seelischen Schmerz. Auch bei den anderen Zuschauern kann ich sehen, wie sie und innerlich verkrampfen und immer wieder die Gesichter verziehen. So als hätte jemand vor Ihnen gefurzt.

Die Sängerin trägt eine Kleid, so eng und kurz, dass kein Zweifel daran besteht, dass Sie bis zum Rest des Schuljahres noch mindestens 3 feste boyfriends aus den oberen Klassenstufen haben wird.

Ich sehe viel gefärbtes Haar und wenig Talent. Vielleicht wächst das Talent ja mit dem Selbstbewusstsein nach.  So wie die dünnen Arme des Gitarristen in das weite Cobain-Flanellhemd.

Der Auftritt der sogenannten Rockband ist der erste Programmpunkt von 10. Eine schreckliche Vorstellung . In zweierlei Hinsicht. War ich auch mal so? Ich fürchte ja. Ich bereue zutiefst das Treffen am Glühweinstand zugunsten dieser Farce abgesagt zu haben.

Ich sehe noch sehr viel mehr: Junge Fünftklässler haben einen Tanz einstudiert, den sie selbst so albern finden, dass sie durchgehend kichern müssen. Die Choreografie besteht im Grunde aus Körperdrehungen um 360 Grad und dem ausstecken von Armen und Beinen in vermutlich einer ganz bestimmten Reihenfolge.

Zwei Moderatoren, die sich als Erwachsene verkleidet haben lesen schon tausendmal gehörten Sätze von Karteikarten. Sie sprechen so wie sie sich vorstellen sprechen zu sollen. Hölzern und umständlich.  Ich sehe viele Flechtfrisuren und Abendkleider. Noten- und Mikrofonständer werden immer wieder ungelenk verstellt und verschoben. Immer wieder steht aus dem Publikum ein irgendein Elternteil auf um mit dem Handy den Auftritt des eigenen Kindes zu filmen. Nicht ohne dabei exzessiv die Zoom-Funktion zu nutzen, von der jeder weiß, dass sie ein Videobild nicht unbedingt wackelfreier macht. Alles hier ist irgendwie gut gemeint aber schlecht gemacht.

Es ist die große Stunde derer, die sonst untergehen in der Wahrnehmung der Schulgemeinschaft. Der Große Tag für die Mädchen, die sonst mit den riesigen Instrumentenkoffern auf dem Rücken in der S-Bahn stehen und scheu durch ihre dicken Brillengläsern auf den Boden blicken. Heute sollen auch diese Menschen einmal ein Publikum bekommen und ihren Applaus. Diesen Applaus will ich ihnen auch nicht verwehren. Wer bin ich, dass ich das zu entscheiden hätte. Nur gefallen muss es mir ja nicht.

Das ist schon alles schön und gut und hat sicher auch seine Berechtigung. Ich fühle mich dennoch fehl am Platz. Ich langweile und fremdschäme mich zu gleichen Teilen. Auch wenn ich mir hin und wieder denke, dass hier ist jetzt gar nicht so schlecht oder das hätte in einem Rahmen durchaus das Potential mein Herz zu berühren werde ich dieses schale Gefühl nicht los. Dieses schale Gefühl, dass im Grunde nichts anderes ist als die Freude darüber nicht mehr in eine Schule gehen zu müssen und darüber in Zukunft wenn man schon mit Wollsocken auf dem Sofa liegt, einfach zu hause zu bleiben.

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