Zeit

„Hör auf mit der Frage, ob ich es weit bringe
Manche gehen mit dem Zeiger, andere machen Zeitsprünge
Du denkst die anderen tauchen tief, wenn ich noch einschwimme?
Alle rennen, doch als erstes rennen Feiglinge

Auch wenn sie sich beeilen, es bleibt wie es ist
Du bist erst fertig, wenn du fertig bist
Auch wenn sie’s nicht verstehen, es bleibt wie es ist
Du bist erst fertig, wenn du fertig bist
Du bist erst fertig, wenn du fertig bist“

Fiva & das Phantomorchester – Zeitloopen

Zeit ist so eine Sache. Eine Kultursache.

Diese Woche habe ich, von meiner Arbeit aus, ein Filmprojekt mit einer Gruppe Jugendlicher aus Israel und aus Deutschland durchgeführt. Eine spannende Angelegenheit in vielerlei Hinsicht. Das bemerkenswerteste allerdings war der große Unterschied der beiden Gruppen beim Verständnis von Zeit.
Während wir Deutschen es gewohnt sind pünktlich zu sein und darauf zu achten niemanden warten zu lassen, sehen Araber ausgemachte Zeitpunkte eher als eine Richtlinie an. Was zum Beispiel dazu führte, dass wir mit unserem Programm eine geschlagene Stunde später angefangen haben. Alles lief schleppender und nur mit großer Mühe und vielen Motivationsanschüben.

Auch nach der Mittagspause. Wenn die deutschen Teilnehmer sich schon geduldig darauf vorbereiten weiter zu arbeiten, beschließen einzelne Israelis, dass man auch später anfangen könnte und legen sich noch ein wenig ins Bett. Selbstverständlich ohne dass jemand davon weiß.

Zwei Welten die auseinander prallen und Konflikte dadurch unvermeidbar werden. Persönlich darf man diese Unpünktlichkeit als Deutscher nicht nehmen. Ich habe mir sagen lassen das Warten zum täglichen Leben der Araber dazugehört. Ein großer Teil des Alltages der Menschen in arabischen Ländern besteht aus Leerlauf. Unverständlich für uns tüchtige Deutsche aber irgendwie auch interessant. Viel Zeit gratis zwischendurch.

Das Leben wäre so viel entspannter und entschleunigter wenn einfach mehr Zeit zwischen den Aktivitäten liegen würde. Wie oft hetzte ich von einem Ort zum anderen und wie viel Energie muss ich manchmal aufbringen um meinem Kalender und meiner To-Do-Liste gerecht zu werden?

Sicher, wir schaffen sehr viel mehr an einem Tag, wenn wir die 24 Stunden so effektiv nutzen wie es uns möglich ist. Doch geht uns dabei nicht auch etwas verloren? Zum Beispiel ein bewusstes Wahrnehmen unseres Tages?
Immer wieder hört man von Menschen, die nach längerem Aufenthalt im südlichen Ausland, zurück nach Deutschland kehren und schwer damit zu kämpfen haben sich wieder unserem  Zeitverständnis anzupassen.

Das Projekt war anstrengend und unglaublich lehrreich zugleich. Für mich zumindest. Auch wenn ich froh bin normalerweise mit Menschen zusammen zu arbeiten, die sich an Abmachungen in Zeit und Ort halten, so nehme ich doch eine Sache aus dem Projekt mit (wie wir Pädagogen so schön sagen): Es funktioniert auch ohne Stress. Auch langsam kommen wir zum Ziel.

Natürlich sollten wir unser Leben nicht verschlafen. Auch darf ich nicht damit argumentieren immer zu spät zu kommen weil das einfach auch funktioniert – Das ist hierzulande eine Frage der Wertschätzung – doch wenn wir uns selber den Druck ein wenig nehmen könnten, möglichst viel mit unserer Zeit anfangen zu müssen, wäre uns allen geholfen.

Diese Tage bin ich dummerweise krank. Was bedeutet, dass ich meinen Tag nicht so nutzen kann wie ich es täte wäre ich auf dem Zenit meiner Leistungsfähigkeit. Was ich nicht alles machen wollte: Ich könnte meine Schuhe zum Reparieren bringen, zur Bandprobe fahren, meinen Platten Reifen flicken, Einkaufen gehen, meinen Küchendienst erledigen, mich mit Freunden verabreden und eine kurze Runde mit dem Mountainbike drehen. Doch in meinem Zustand muss ich kürzer treten. Statt all dieser Dingen auf meiner Liste bringe ich nur noch eine dieser Sachen auf die Reihe. Meinen Reifen flicken.

Als ich mir eingestanden habe, dass ich tatsächlich krank und nicht nur etwas ermüdet bin war ich einerseits schlecht gelaunt, wer ist schon gerne krank, doch andererseits auch erleichtert. Dann mache ich eben nur eine Sache heute aber diese dann entspannt, langsam und richtig gut. Eine erzwungene Handbremse sozusagen.

Ich nehme mir als heute nichts vor, außer mein klappriges Rad wieder fit zu machen. Ein angenehmer Plan. Ich mache mich also an das Ausbauen des Hinterrades und mach mein Fahrrad bei der Gelegenheit mal wieder richtig sauber. Ich hab ja heute Zeit. Mir fällt wieder auf, dass die Bremse nicht funktioniert, also mache ich mich auch daran.

Das Reparieren meines platten Reifens zieht sich also über den gesamten Nachmittag. Immer wieder habe ich etwas gefunden was ich noch besser machen könnte und was notwendig wäre um nicht nach ein paar Wochen wieder etwas zu reparieren. Das Ende der Geschichte war: Mein Fahrrad erstrahlt in neuer Pracht. Mit Bremse, Schaltung, festem Sattel und krönender Weise mit einer neuen Lackierung. Ich habe doch tatsächlich das Fahrrad komplett auseinander genommen und mich um jedes Teil gekümmert was kaputt oder nur provisorisch repariert war. Weil ich gerade beim „anständig“ machen war hab ich dann gleich noch lackiert.

Ich hätte natürlich in der Zeit auch andere Dinge erledigen können oder mich in meinem Krankheitsmitleid  ins Bett verkriechen können aber das unglaublich gewissenhafte und langsame Arbeiten, das immer wieder warten müssen bis die nächste Schicht Farbe getrocknet sei hat diesen Tag zu einem meiner erfolgreichsten der letzten Wochen gemacht.
Hätte ich alles oder auch nur die Hälfte dessen erledigt, was ich mir vorgenommen hätte, so hätte ich nichts von den Dingen mit Freude und Gewissenhaftigkeit getan, die Dinge wären eher schlecht als recht erledigt worden und ich hätte mich gefragt wo ich selber an diesem Tag abgeblieben wäre.

In diesem Sinne wünsche ich euch einen entspannten und ruhigen Sonntag und mir selber eine gute Besserung.

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