Pubertät

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Oh sweet 16! Wie geil wär es doch, wenn man all die coolen Dinge noch einmal zum ersten Mal erleben könnte. Eine Nacht durchmachen, Biere trinken, die Haare färben und sich geile Kleidung über den reifenden Körper steifen. Wie schön muss es sich anfühlen ein Pubertierender zu sein?

Gar nicht. Es muss zum Kotzen sein. Was damals das Größte war entpuppt sich heute als Alptraum. All das was ich für cool hielt kann ich heute getrost als lächerlich beschreiben. Ich weiß wovon ich rede, denn ich trug abgeschnittene Bundeswehrhosen.

Daher die Frage: Wie schlimm muss es sein wieder 14 Jahre alt zu sein. Wenn die Zeit kommt, in der die Geschlechtsreife eintritt und das andere Geschlecht auf ein mal interessant und der Pädagoge zum Feind wird. Die Antwort: Sehr schlimm.

Ich bin diese Woche unter Jugendlichen in den besten Jahren. Ein einwöchiges Projekt im Rahmen einer Kampagne für Toleranz unter pubertierenden Realschülern und Realschülerinnen, die eines besonders beherrschen: Verweigerung. Blendende Vorraussetzungen für Abende bei denen der erste Weg nicht zum Biertrinken zu Freunden sondern direkt ins Bett führt. Nervenaufreibend und ungeheuer ermüdend. Ich bin fast so müde wie zu den Zeiten meiner eigenen Adoleszenz.

Wie gehe ich mit Menschen um, die einfach keinen „Bock“ (Motivation) aufbringen können und deren Lieblingsbeschäftigung das „Chillen“ (gemütliches, wahlweise gemeinschaftliches Nichtstun) bleibt? An inhaltliches Arbeiten, zu Themen wie Toleranz oder Menschenrechte ist nicht zu denken. Wieso auch, ein mehr von Moral geschwängertes Thema kann man sich, nur schwer vorstellen. Vielmehr denke ich daran, wie ich die kommenden Tage überleben werde ohne als ein strebsamer Spielverderber in Erinnerung zu bleiben.

Die Jugendlichen von heute, ja ja. Mei oh mei. Gefordert werden darf wenig, Rücksicht genommen werden soll bitte sehr viel. Ich bin immerhin den ganzen Tag sehr gut unterhalten. Das volle Programm wird aufgefahren: „…Ich kann leider nicht zuhören, weil ich hab Bulimie und deshalb ist mir immer schwindelig…“, „Du verfickter, Hurensohn!“, „Müssen wir bei eurem Projekt mitmachen?“, „Was muss ich jetzt machen?“ oder „Wann haben wir Pause?“

Alleine schon dieses Müssen! Schlimm wenn wir alles immer müssen würden. (Müssen tut man nur einmal am Tag, wenn der Darm gesund ist, hieß es schon in meiner Kindheit auf dem Land und so flach und schlecht der Spruch auch sein mag: er trifft zu.) Ihr lieben jungen Menschen, wenn ihr immer nur erfüllen wollt was von euch gefordert wir um wieder euren Lieblingsbeschäftigungen (Chillen etc.) nachgehen zu können werdet ihr nicht weit kommen bei der Suche nach eurem persönlichen Glück.

Eure Frage sollte nicht die nach dem Müssen sein, sondern vielmehr danach, wie ich mit den Gegebenheiten die nun gerade einmal da sind so umgehe, um eine am meisten sinnstiftende, erfüllende Zeit zu haben. Nicht was müssen? sondern wie nutzen?.

Wie Regeners, Herr Lehmann schon formuliert hat ist das Leben ein Gefäß. Nämlich gefüllt mit Zeit. Unten ist ein Loch da läuft die Zeit raus. Daher kommt es darauf an wie man seine Zeit nutzt. Warum jetzt dieser Vergleich, Herr Jobinski? Weil es ein Bild ist. Worauf ich hinaus will ist, dass das Leben mehr ist als nur die Erfüllung seiner Pflichten sondern, dass auch die Erfüllung von Pflichten Freuden mit sich bringen kann. Es kommt darauf an wie ich  mich den Dinge um mich herum und damit auch an meinen Aufgaben nähere und nicht darauf, möglichst schnell alles hinter sich zu bekommen.

Glück will geschaffen werden und das Glück kommt nun mal nicht einfach so vorbei, bei denen die es verdient haben. Glücklich zu sein will gelernt sein. Seine Art und Weise zu erforschen wie man Glück und Freude in sein Leben bringt, vielleicht ist das die Aufgabe derjenigen Jahre in denen man alles ätzend findet?

Aber was erzähle ich euch das? Da ihr vermutlich eure Pubertät mittlerweile überwunden habt brauch ich euch nicht nicht mehr erklären wie das mit dem glücklichen Leben funktioniert. Wenn doch, dann um so besser für euch.

Ist ja auch eine scheiß Zeit, die man vor seinem Erwachsenenleben so überwältigen muss. Wenn jeder gut gemeinter Verbesserungsvorschlag mit Schikane verwechselt und Moral ein dehnbarer Begriff wird. Wenn die Welt sich um mich persönlich dreht aber, glaubt man den Zeichen, offensichtlich schlecht mit einem meinen muss.

Eine scheiß Zeit ist das aber auch für diejenigen, die sich mit den Heranwachsenden herum schlagen müssen. Eltern, Lehrer oder wir Pädagogen. Ich weiß gar nicht was ich mir den armen Geschöpfen anfangen soll. Sollen mir die jetzt leid tun oder soll ich meinem gelegentlich aufsteigenden inneren Druck nachgeben und die alle mal ordentlich durchschütteln und rufen: „Stell dich doch nicht so an, du egozentrisches Weichei. Sparr dir deine Besserwisserscheiße und sieh zu, dass du uns allen weniger auf die Eierstöcke gehst!“

Letzteres vermutlich weniger. Vielleicht nennen wir es auch einfach nicht scheiß Zeit sondern nennen wir es Herausforderung. Das klingt schon viel optimistischer viel pädagogisch wertvoller und das sollte es auch. In drei Jahren sind wir alle aus dem schlimmsten raus und wir können wieder vernünftig miteinander und aneinander arbeiten. Ich will auch nicht sagen, dass die Arbeit die wir als Pädagogen in dieser Zeit leisten nutzloser Unsinn sei, nichts läge mir ferner. Vielleicht will ich eher sagen, dass es gesund sein kann nicht überambitioniert an unsere Erwachsenen von Morgen heran zu treten. Vieles klärt sich mit der Zeit auch einfach von alleine.

Als ich neulich mit dem Bus fuhr begegnete ich einer Familie. Mutter (um die vierzig), Sohn (etwas über 20) und kleine Tochter im Kinderwagen (also etwa 3). Die Gesichter der drei Personen alleine waren schon so von Enttäuschungen gezeichnet, dass mich das fast selber traurig gemacht hat. Was mir bei den Erwachsenen der beiden aufgefallen ist war, dass sie alles negativ gesehen und beschrieben haben: Es war furchtbar, dass es regnete (ok das ist noch verständlich, denn das Wetter spielte uns schon wirklich fies mit dieser Tage). Als ein älterer Herr seine Tasche auf den Fuß des jungen Mannes stellte musste dieser üble Vorwürfe der Vorsätzlichkeit über sich ergehen lassen. Alles war anscheinend super super ätzend, dass es mich wahnsinnig gemacht hat.

Der Beschwerdenmarathon gipfelte an dem Ort wo die kleine Familie auszusteigen gedachte. Da an der betreffnden U-Bahnhaltestelle gerade gebaut wird ist die Ersatzhaltestelle etwa 150 Meter weiter verlegt worden. Ein Fußweg, der für die beiden Motzer eine schier untragbare Zumutung darstellte. Es fielen Sätze wie: „Da fahren wir extra in de Bus und damit wir nicht nass werden und so wird uns das gedankt.“ Jaja diese ungerechte Welt. Ihr meint es gut und der Rest zahlt es euch heim. Dass es auch Bauarbeiter geben könnte, die diesen Platz zeitweise zur Verschönerung der Welt benötigen, lag anscheinend außerhalb des Wahrnehmungskosmos der beiden.

Die zwei waren sich auch einig über ihre ewige Opferrolle als ich noch hörte: „…mit uns kann man es ja machen…“ Ihr habt es schon besonders schwer. Mir tat letztlich allerdings nur die arme Tochter leid, die wohl ihre gesamte Kindheit in einem so lebensverneinenden Umfeld aufwachsen wird, dass jede Chance auf eine optimistische Weltanschauung schon im Kinderwagen zum Krüppel wird.

Ich erzähle die Geschichte hier weil mich die Einstellung der beiden sehr an meine pubertierenden Realschüler erinnert hat. Ich als Mittelpunkt der Welt. Alles spricht gegen mich. Ich bin das ewige Opfer, dabei meinte ich es doch nur gut. Hätte ich dass Bett doch heute einfach nicht verlassen.

So hat das Glück keine Chance, meine Lieben. Die beiden haben ihre Pubertät wohl nie überwunden. Habt ihr?

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