Wenn es Herbst wird, komme ich jedes Jahr neu in eine besondere Stimmung. Ich tauche dann ein in eine sanfte Melancholie und beginne mehr nachzudenken und zu grübeln als sonst. Ich mag das ganz gerne. Für mich stellt sich in diesen Tagen, wenn der Sommer vorbei geht, sogar das leichte Gefühl ein, das Jahr neige sich allmählich dem Ende zu. All die großen Erlebnisse für dieses Jahr habe ich (gefühlt) schon abgehakt. Mein Jahr war gut gefüllt und in der Summe ein gutes Jahr.
Erstaunlich, wie sehr ich scheinbar ein Jahr als Bewertungsrahmen in mir habe. Dabei weiß ich doch ganz genau, dass der 1. Januar genau so stinknormaler Tag sein kann, wie der 30. November oder der 13. August. Doch warum beachte ich bei der Analyse meiner Lebenszeit solche – im Grunde willkürlichen – Markierungen wie Jahresbeginn oder Jahresende? Wenn ich zurückblicke und an meine schönsten Erinnerungen denke, weiß ich nicht mehr in welchem Jahr diese stattgefunden haben, oder wie dieses Jahr im Allgemeinen so war. Ich schreibe weder Jahresberichte an mich selbst oder lege wert darauf an Sylvester im Freundeskreis besonders geile Bilanzen über die vergangenen 12 Monate zu ziehen.
Ihr merkt es schon: Dieser Tage denke ich über meine Zeit nach. Gemeint ist dabei auch die Zeit, die mir tatsächlich zur freien Verfügung steht. Die Stunden, die nach Abzug von Arbeitszeit, Schlaf und Nahrungsaufnahme übrig bleiben. Was mache ich mit den Stunden die übrig bleiben? Wie mache ich die Stunden die mir zur Verfügung stehen zu einer, im Rückblick betrachteten, “guten Zeit”?
Wenn das Wetter wieder kälter wird und meine Gewöhnung daran noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass ich mich wieder freiwillig außerhalb der Wohnung bewegen will, bleibe ich gerne daheim. Dadurch werden meine Stunden zwangsläufig mit weniger aktiven Tätigkeiten gefüllt. Auch wenn diese wenig Stoff liefern würden für aufregende Instagramdokumentationen, vergeht die Zeit dabei sehr sehr schnell. Internet, sauber machen, Internet, Wäsche waschen, Glühbirnen auswechseln und immer wieder Internet. Die Zeit vergeht so schnell, dass ich mich am Ende des Tages frage, wo meine Zeit hin gekommen ist, beziehungsweise was ich anstelle der Zeit, die ich aufgebracht habe, als Gegenleistung bekommen habe. Irgendwo muss die Zeit doch jetzt drinnen sein.
Ja so denke ich. Ich denke in einer Kosten-Nutzen-Logik. Welche Erfahrung, welches Erlebnis, welche Geschichte oder welches neu erhaltene Wissen erhalte ich für meine Zeit? Ich gebe Zeit und erhalte etwas dafür.
“Zeit ist Geld”. Ist so ein Satz. Was natürlich Quatsch ist, denn immer, wenn ich Zeit habe ist mein Geld plötzlich weg.
“Nutze den Tag” Ist auch so eine Weisheit, die viel tiefer in mir steckt, als ich es wahrhaben will. “Ein Tag, an dem du nicht einmal gelächelt hast ist ein verlorener Tag”. “Träume nicht dein Leben…” Lebe jeden Tag, als sei es dein letzter.” Pah! was sind das für dumme Floskeln? Was ist das für ein Bullshit! Als gäbe es tatsächlich “gute Tage” und “schlechte Tage”. Ein Tag lässt sich doch nicht pauschal bewerten wie etwa ein Produkt. Ein Tag besteht immerhin aus vielen Stunden und diese aus vielen einzigen Momenten. Zu sagen, dass heute ein schlechter Tag war erscheint mir doch recht ungerecht gegenüber all den guten Momenten, die man auch erlebt hat. Und die hat man immer erlebt.
Ich versuche mich gerade etwas mehr von den Kategorien von Zeit, Tagen und Jahren zu lösen. Mehr im Moment (man könnte kittscher ausgedrückt auch “im Hier und Jetzt” sagen) und weniger schon in der Zukunft zu sein. In einer Zukunft, in der ich mich fragen werde, ob ich meine Zeit auch wirklich schön effektiv genutzt haben werde und ob ich mehr gute Tage als schlechte Tage hatte.
Ich mach mich frei.
Deshalb bestimme ich den September zu meinem persönlichen Jahreswechsel. Einfach weil es mir persönlich näher liegt. Mit dem Ende des Sommers endet auch mein Jahr.
Deshalb ist es mir auch egal ob ich mein Wochenende gut genutzt habe. Statt meine to do Liste abzuarbeiten, raus zu gehen um die Art Erlebnisse zu sammeln, auf die es angeblich so sehr ankommt, kaufe ich mir drei Computerspiele und werfe meine Stunden zum Fenster hinaus. Dabei bin ich sehr glücklich. Denn glücklich zu sein, in diesem jetzigen Moment, ist immer noch das Wichtigste.
PS: Ursprünglich wollte ich einen Text darüber schreiben, wie schädlich es offensichtlich ist, viele Stunden völlig ziellos im Internet zu surfen, oder viele Stunden nichts auf die Reihe zu bekommen, weil man immer wieder in den Timelines auf dem smartphone hängen bleibt. Der Text ist dann doch etwas anders geworden. Gut so. Nicht zuletzt deshalb, weil mir klar geworden ist, dass die Zeitverschwendung, die wir durch unsere Handys mit in unseren Alltag nehmen, in Ordung ist. Es ist in Ordnung viel Zeit am Stück einfach nur stumpf in ein Handy zu glotzen. Zumindest solange ich mir dem bewusst bin und zur rechten Zeit wieder den Absprung schaffe. Schlecht wird es nur, in dem Moment, wenn ich diese Zeitverschwendung nicht genießen kann, weil ich mir die ganze Zeit denke, dass etwas anderes viel dringender und aufbauender wäre. Wie ich es immer sage. Mach was du willst, aber mach es bewusst.
Weil Ihr so brav bis zum Ende gelesen habt gibt es jetzt noch Bilder von meinem geilen Leben zum anschauen.
Ein Gedanke zu „Zeitliches“