Neulich in der Stammkneipe.

(c) Jo Leitenmeier

Da gibt es diese eine Kneipe. Sie heißt Bavaria Insel. Ein vielversprechender Name für jemanden, der hin und wieder seine bayrische Heimat vermisst und ganz zufällig genau gegenüber wohnt. Ich sitze zuhause und weiß nichts mit mir anzufangen. Bin am Nachmittag beim Lesen eingeschlafen und weiß, dass ich deshalb heute nicht früh ins Bett gehen kann. Alles was ich jemals im Internet nachsehen oder nachlesen wollte habe ich nachgesehen oder nachgelesen. Das Buch was ich lese ist nicht schlecht aber ich habe keine ausreichende Lust weiter zu lesen.

Auch will ich nicht schon wieder hier herum sitzen. Meine wenigen Kontakte in Hamburg haben keine Zeit oder keine Lust. Das Kino ist mir zu weit weg und außerdem ist es schon zu spät für die interessanten Vorstellungen.

Die Idee in die gegenüberliegende Boazn zu gehen (wobei das Wort für hier Bierkneipe sicherlich ein anderes ist) scheint mir zwar ein wenig verrückt aber nicht zu verrückt um es sein zu lassen. Ich bin eigentlich nicht der Typ der gerne Stundenlang am Tresen sitzt und ein Bier nach dem anderen bestellt, aber schauen kann man ja mal.

Also Schuhe an. Treppe runter und über die Straße. Rein in das Lokal und los geht‘s.
Ich öffne die Türen und die gesamte Truppe an Stammgästen dreht sich um, um mich fragend und zugleich verstört anzusehen. Ich habe das Gefühl ich störe. Naja, das muss ich jetzt durchziehen. Also das ungezwungenste „Hallo“ in die Runde geworfen und gemütlich an die Bar. Ich bestelle ein Bier und schaue interessiert in die Runde. Mir sind die Gepflogenheiten nicht vertraut und ich habe das Gefühl, dass ich die ganze Sache falsch angegangen bin. Wenn ich nur wüsste was ich falsch gemacht habe. Später werde ich es wissen.

Die Gäste fangen an sich weiter zu unterhalten. Hier drin kennt jeder jeden. Eine der weiblichen Stammgäste kommt gerade von der Kur und erzählt wie es so ist wenn man auf Kur ist. Weiter dreht sich das Gespräch um Körpergewicht und Bierbäuche. Jeder weiß etwas zu sagen jeder kann etwas betragen – jeder im Raum außer ich. Ich hab den Moment verpasst mich ins Gespräch einzuklinken. Aus Sorge irgendwelche Codes zu missachten und habe dabei genau das erreicht.

Es ist ruhig in der Bar. Es gibt nur eine Gesprächsrunde. Musik gibt es nur aus der Musikbox und die Gäste wollen ihr Geld lieber in Getränke investieren anstatt sich berieseln zu lassen. Ich versuche die Situation zu retten. Interessiert wie möglich schaue und lächle ich umher. Ich finde es kacke hier drin und die Leute sind nicht mein Fall aber ich wollt was erleben heute also muss ich jetzt da durch. Mindestens so lange wie mein Bier noch voll ist. Ich bekomme eine SMS, die ich auch gleich beantworte und gleich noch eine weitere schreibe. Während dessen fragt mich Siggi, die Chefin ob ich noch eines will. Ein Bier ist gemeint und reflexartig bejahe ich die Frage. Ich bleibe dann wohl doch noch ein Weilchen.

Mit meinem Handy in der Hand und bin ich beschäftigt Nachrichten zu lesen und Antworten zu schreiben. Ich hänge fest. Ich könnte natürlich auch weiter Interesse heuchelnd umherblicken aber die Ablenkung ist mir sehr willkommen, hier geht sowie so nichts mehr.

Irgendwann werde ich seitlich angemault. Was das den soll, sich an den Tresen zu setzten und die ganze Zeit auf meine Handy zu schauen. Das sei eine Bierkneipe und man komme nicht her um seine Ruhe zu haben. Das sei arrogant. (Ganz recht denke ich mir, meine Ruhe wollte ich auch gar nicht, aber ist halt blöd gelaufen.) Weiter darf ich mir böse Sachen anhören, die aber, so wird betont, nicht böse gemeint sind. Eingebildete Muttersöhnchen wolle man nicht, man solle sich nicht so anstellen und überhaupt wisse man anscheinend nicht Bescheid.

Durch sozialpädagogische Finesse hacke ich nach. Was hätte ich denn seiner Meinung nach hätte besser machen können und ob er nachvollziehen könne dass nicht jeder der Typ ist in eine Kneipe zu treten, in der offensichtlich nur Stammgäste hausen, um zu rufen: „Hallo Freunde, hier bin ich. Ich bin der Neue, was geht?“

Mein Kneipenlehrmeister stimmt mir zu. Er erzählt mir, dass er es ähnlich handhabe wie ich wenn er an einen neuen Ort komme und sich erst einmal das ganze anschaut. Ohne zu merken dass er sich dabei gerade selber widerspricht, versteht sich. Da tuen sie offen und unkompliziert, betonen wie wichtig es sei, dass der Mensch nicht auf sein Äußeres reduziert werden soll, sind liberal und tolerant und schauen einen 20 Jahre jüngeren Gast wie mich nur mit dem Rücken an. Wer hat hier also Berührungsängste?

Weiter erfahre ich die Vorgehensweise wie man richtig in eine Bierkneipe tritt: An jeden Tisch an dem jemand sitzt und auf den Tresen klopfen oder Tippen. Einfach klopfen und alles ist gut. Die Geste wird mir vorgeführt und erscheint mir auch kurz als passen, ja sogar ein wenig lässig. Nur keiner der hereinkommenden Gäste klopft oder tippt hier auf irgendetwas. Nur ich tippe mir innerlich auf die Stirn. Man hab ich noch viel zu lernen.

Doch zum Glück gibt es Bier und ehe man sich versieht werde ich aufgenommen in den Kreis der Geschworenen. Ich habe guten Willen bewiesen und Lernbereitschaft gezeigt. Doch das Bild des heilen Kneipenuniversums, das mein Mentor mir vermitteln, will bröckelt als ich zahlreiche Tips erhalte, von wem ich mich fern halten, auf wessen Gerede ich nichts geben und zu wem ich ruhig etwas direkter sein solle. Näher betrachtet geht es hier zu wie im Kindergarten. Nur das es statt Früchtetee und Pferdepuzzle eben Pils und Dartpfeile gibt.

Irgendwann werde ich dem altklugen Gebrabbel überdrüssig und außerdem bierbedingt müde. Ich beschließe auf die andere Straßenseite ins Bett zu gehen und frage mich dabei ob ich wohl wieder kommen werde, jetzt nachdem ich Bescheid weiß wie das so läuft in der „Bavaria Insel“. Mal wieder kurz vorbeischauen kann man ja mal.

2 Gedanken zu „Neulich in der Stammkneipe.

  1. Au wei. Mit irgendwelchen betrunkenen Kneipenvögeln sich die Zeit totschlagen halt ich echt nur aus, wenn ich selbst nen Zacken in der Krone hab. Aber du scheinst ja eine Engelsgeduld zu haben, wenn du da auch noch argumentierst.

    1. War auch eher ein experiment und ja. irgendwann hatte ich ihn wohl auch, den Zacken in der Krone. Ich kanns nur empfehlen, wenn man die ganze Sache nicht zu ernst nimmt und wohl davon ausgeht, hier nicht wieder her zu kommen.

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