Wird mal wieder Zeit. Am Freitag ist ein Feiertag. Es ist langes Wochenende. Meine Freund Tobi und seine Familie in Würzburg sehe ich viel zu selten und das Wetter ist trocken und warm.
Der lose Gedanke, mal wieder einen kleinen Trip mit dem Rad zu unternehmen und dabei draußen zu übernachten wird schnell zum konkreten Plan. Die Vorzeichen stehen einfach zu gut. Wenn ich jetzt nicht fahre, dann bin ich selber Schuld.
Meine gut gepflegte Packliste macht die Vorbereitung unkompliziert. Im Keller liegt alles bereit.
Erst wenige Tage zuvor ist meine neue Tasche fertig geworden, die ich extra für meinen „Jack the Rack“ Frontträger konstruiert habe. Auch sonst habe ich meinem Bruder Jakob die ein oder andere Verbesserung und Anpassung gegönnt. Dazu vielleicht an anderer Stelle mehr. Heute geht es ums Draußen sein und nicht darum, welche Technik ich dafür mitnehme.

Donnerstag
Um die Strecke von München nach Würzburg für mich realistischer – sprich machbarer – zu gestalten, nehme ich am Donnerstagabend die S-Bahn in den Norden von München. In Altmünster ist Endstation und Start meiner Tour. Es ist 21.00 Uhr und schon richtig dunkel. Endlich ist die Hitze, die die letzten Tage über gebrütet hatte, etwas milder. Der Plan ist, ein paar Kilometer – je nach Lust und Vorankommen – in der Kühle der Nacht wegzutreten.
Doch daraus wird nichts. Nach etwa drei Minuten bricht mein Vorderlicht ab. Es ist zwar schön und gut, wenn man an seinem Rad das meiste selbst schraubt und sich individuelle Lösungen verbaut, wie zum Beispiel die Halterung vom Vorderlicht aus dem 3D Drucker. Der Nachteil ist, dass eben manches auch nicht so klappt wie ich es mir dachte. Jetzt stehe ich also da. Ohne Licht. Im Dunkeln.
Ersatz habe ich nicht dabei. Also ist das Vorhaben, ein bis zwei Stunden in der Kühle der Nacht zu fahren, gestrichen. Ändern kann ich das jetzt nicht mehr. Trotzdem ein Dämpfer.
Ein kurzer Blick auf Google Maps verrät mir eine Sportanlage am Ortsrand. Mit Schlafmöglichkeit auf Sportplätzen habe ich bisher immer gute Erfahrungen gemacht und auch hier finde ich ein lauschiges Plätzchen an einem Volleyballfeld. Hat ein bisschen was von einer Übernachtung am Strand. Viel zu wach vom späten Kaffee liege ich also endlich mal wieder unter Sternenhimmel. Weit bin ich nicht gekommen heute, aber dafür jetzt schon mittendrin im erlebnisreichen Wochenende.


Freitag
Weil ich gestern schon früh im Schlafsack lag wache ich mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Einen Wecker brauche ich nicht. Schon um halb acht ist es so warm, dass ich nicht länger im Schlafsack liegen möchte.
Gleich mal Kaffee machen. Pro Tipp: Der Gedanke bei der Auswahl der Gaskartusche diejenige zu nehmen, die schon fast leer ist, weil man damit sowieso nur zwei mal Wasser heiß machen will, ist
gut. So kann man schließlich ein bisschen Gewicht sparen. Spätestens, wenn man die leere Kartusche unterwegs entsorgen kann. Soweit der schlaue Gedanke. Wenn das Gas allerdings nur für 20 Sekunden reicht, ist auch nichts gewonnen. Dann hat man nämlich erst recht unnötiges Gewicht umsonst mittransportiert und Kaffee hat man in dem Fall auch keinen. Ich ärgere mich über meine kurzsichtige Gewichtssparsamkeit. Ändern kann ich das jetzt nicht mehr.
Zum Glück ist Bayern dicht besiedelt und auch am Feiertag finden sich genug Bäcker. Wie in meinem Fall im 17 Kilometer weiter gelegenen Aichach. Ich bestelle alles, was mich aus der Auslage anlacht und ignoriere unter größter Anstrengung den Rentner am Tisch gegenüber, der mich 20 Minuten anstarrt. Meine Versuche, ihn durch Zurückstarren abzuwehren, haben keine Wirkung. Mein Gegner ist zu mächtig. Aichach ist zu klein für uns beide. Es wird wohl Zeit, dass ich weiterfahre. Über Landstraßen und Wirtschaftswege fahre ich in die Vormittagssonne. Schon jetzt steht fest: Heute wird es warm werden
Im Kopf rechne ich aus, wie weit ich heute wohl kommen sollte, wenn ich morgen nicht zu spät bei meinem Freunden in Würzburg aufschlagen will. Die Kilometer der gestern ausgefallenen Nachtfahrt fehlen heute natürlich auf meinem Tacho. Gleichzeitig überlege ich, wie weit ich überhaupt kommen werde bis die Sonne untergeht. Mein Licht bekomme ich am Feiertag nicht ersetzt oder repariert. Zur Berechnung kommt noch der dringende Wunsch einer ausgedehnten Mittagspause, vorzugsweise an einem kühlenden Gewässer.

Wenn ich gut vorankomme, schaffe ich heute 120 Kilometer. Klingt knackig, aber machbar.
Also rein ins Getümmel. Treten und schauen. Immer wieder trinken. Die Klaviatur des Radfahrens ist bekannt. Wenn ein Knie ganz oben ankommt: einfach runterdrücken.
Anders als sonst mache ich viel weniger Bilder als üblich. Das hat einen banalen Grund.
Ich trage heute kein Radtrikot und so habe ich mein Handy nicht wie sonst griffbereit in der Rückentasche. Auch Snackbags habe ich heute keine befestigt, weil ich davon ausging, genug Platz in meinen anderen Taschen zu haben. Eine Kleinigkeit zwar, dennoch ärgerlich. Ändern kann ich es jetzt nicht.
Das Setup muss ich für’s nächste Mal dringend verbessern, notiere ich mir innerlich und mache mich in Gedanken schon an die Umsetzung. Welche Farbe, welche Features, welches Innenfutter…
Schluss damit! Ich bin zum Radfahren und nicht zum Nähen hier. Lieber wieder in die Landschaft schauen.
Bei einer griechischen Raststätte bekomme ich einen Wetterbericht der griechischen Inseln (dort ist es noch heißer) und außerdem meine Wasserflaschen aufgefüllt. Freundlicherweise mit reichlich Eiswürfeln. Was für ein Goldstück von einem Wirt.


Irgendwann fahre ich durch Donauwörth. Hier wäre theoretisch Halbzeit für mich. Doch statt eines reichhaltigen warmen Mittagessens reicht mir wieder nur ein Bäcker. Es ist zu heiß um irgendwas größeres runter zu bekommen als eine belegte Semmel. Dass ich dringend mehr essen sollte, weiß ich eigentlich.
Ab Donauwörth wollte ich mich nach einer Abkühlung umsehen. Die Wörnitz sieht jedoch in Wirklichkeit nicht so einladend aus wie der azurblaue Streifen auf dem Navi. Braun, trüb und kaum Strömung. Lieber noch weiter fahren.
Der nächste ausgekundschaftete Badeweiher entpuppt sich als komplett umzäunt. Also noch weiter durch die Mittagshitze. In Harburg finde ich endlich meine Badestelle .



Die Burg von Harburg sieht prächtig aus und auch sonst wirkt es hier so schnuckelig mittelalterlich, dass ich beschließe mal wiederzukommen. Zu welchem Anlass weiß ich auch nicht. Am Flussufer liege ich auf meinem Handtuch und genieße das Leben. Ich schiebe mir Weingummi in den Mund und kühle mich alle 20 Minuten im Wasser ab. Pause machen kann so schön sein. Nach einer Stunde geht es zurück auf den warmen Asphalt.
Ich frage mich warum ich die ganze Zeit in der prallen Sonne fahre. Als hätte ich bei der Routenplanung gezielt jedes Stückchen Wald gemieden. Gibt es überhaupt Wald in Bayern?
Was es auf jeden Fall gibt, sind Dorffeste. Fast überall wird eingeladen, aufgebaut und angezapft.
An der Eisdiele In Öttignen lege ich den nächsten Stopp ein und wieder kundschafte ich die Karte nach der nächsten Erfrischungsmöglichkeit aus. Ein See mit Badestelle liegt grob auf dem Weg. Das klingt nach einem Plan. Mein nächstes Zwischenziel steht fest und so trete ich stetig weiter durch die Landschaft. Stunde um Stunde komme ich voran. Irgendwie super.
Der Dennlenloher See ist beim Eintauchen angenehmer als er von außen anmutet. Ich freue mich über jede Abkühlung. Auch wenn sie einen schlammig modrigen Geruch auf meiner Haut hinterlässt. Ich bekomme zum ersten mal an diesem Tag richtig Lust zu Essen. Also rein in die Radklamotten und ab zum nächsten Gasthaus.

Das Navi will meinen Schlenker zum See betrafen und beschert mir einen Umweg mit unnötigen Höhenmetern. Aber wenigstens fahre ich endlich mal im Wald. Die Freude über den Schatten hält nicht lange an. Puddingbeinalarm. Der plötzliche Unterzucker wird abgewehrt durch eine rekordverdächtig schnell einverleibte Tüte Haribo Brix.
In Großenreid gibt es einen Biergarten. Damit ist es beschlossen. Ich muss sehr lange warten bis ich mich setzen kann. Zu viele Gäste und zu beschäftigte Bedienungen. Die Möglichkeit, alternativ, schnell und verlässlich etwas anderes zu finden sind begrenzt. Also schwenke ich vom Vorwärtsmodus in den Genussmodus. Auf der Speisekarte findet sich neben dem Beilagensalat nur eine Hauptspeise, die nicht mit Fleisch ist. Das ist jetzt auch schon egal. Hauptsache endlich was zu Essen. Nach eineinhalb Stunden sitze ich wieder auf dem Rad.
Die Sonne geht unter. Spätestens, als mich ein überholender Autofahrer wüst beschimpft (Radwegpflicht und ohne Licht und so), weiß ich, es ist Zeit für mich, einen Schlafplatz zu suchen. Den finde ich zu meiner Erleichterung kurz bevor es wirklich stockfinster wird. Unter einem Apfelbaum an einer Streuobstwiese fühle ich mich abseits genug. Die Musik vom Dorffest schallt leise über die Felder zu mir.
Die Bettroutine ist schnell erledigt: Statt einer Dusche müssen feuchte Tücher herhalten.
Es ist immer noch so warm, dass ein Einpacken im Schlafsack nicht in Frage kommt. Sehr zur Freude der unzähligen Mücken und Krabbeltiere. Notiz an mich: Beim nächsten Mal Insektenschutz aufstocken. Eigentlich weiß ich das. Nach endlosen Kämpfen und Abwehrversuchen gebe ich auf. Um das Surren nicht mehr zu hören, stecke ich meine Kopfhörer in die Ohren und ergebe mich meinem Schicksal. Trinkt euch alle satt, aber bitte lasst mich einfach schlafen.


Samstag
Entsprechend zerstochen wache ich auf. Ausgeruht fühle ich mich nur ansatzweise.
Insgeheim habe ich schon gestern beschlossen, die restliche Strecke nicht komplett zu fahren, sondern bei Rothenburg ob der Tauber mit dem Zug abzukürzen. Eine gute Entscheidung, die auch meinen Stolz auf die gestrigen 150 km nicht schmälert.
Frühstück in Herrieden in Franken. Passend zu meinem Übernachtungsplatz gibt es Apfelkuchen.
Der Rest der Fahrt vergeht wie im Flug. Vielleicht auch, weil der Druck raus ist.
Ich kann die fränkische Landschaft richtig genießen. Die kleinen schnuckligen Örtchen erfreuen meine Augen. Irgendwie bekomme ich Lust, mal wieder einen Mittelalterroman zu lesen.
Ein Landwirt schnauzt mich an, als ich durch seinen Hof abkürzen will. Ich verstehe nur die Hälfte und übe mich in Diplomatie. Es hilft nichts. Ich bin ganz offensichtlich nicht der erste Radfahrer, der die Einfahrt als Einladung missinterpretiert hat. Schnell weiter und noch schneller an was anderes denken. Privatgrund hin oder her. Der Ton macht die Musik.

Transparente fordern: „Windräder nicht in unserem Wald.“ und „Windturbinen machen unsere Tiere unfruchtbar“. Meine Außenseitermeinung aus der Großstadt ist hierzu wohl weniger gefragt. Es gibt auch niemanden, dem ich sie mitteilen könnte.
Die Altstadt von Rothenburg ist an diesem Samstag gestopft voll. Zuletzt war ich hier, als diverse Coronabeschränkungen galten und die zugegeben wirklich beeindruckende Innenstadt um etliche Reisebusse weniger voll war.
Mit einem Mittagessen und einem Weißbier beschließe ich das Ende meiner Abenteuerfahrt. Schön war es, mal wieder unterwegs zu sein. Auch, wenn nicht alles reibungslos geklappt hat. Oder vielleicht genau deshalb. Bald geht es weiter…



… Insgeheim war mein Ausflug ein Stückweit auch als Probefahrt gedacht. Mitte September fahre ich für eine Woche zum Bikepacking nach Dänemark. Spätestens jetzt bin ich richtig angezündet vor Vorfreude. Bis dahin ist die Hitze wohl auch kein Thema mehr.
Danke an Dori und Andi fürs Gegenlesen!