Fortsetzung von Teil 1, Teil 2 ,Teil 3 und Teil 4
Tag 4 : Eine Grenzerfahrung, das Vogesen-Gebirge und die deutsche Freikörperkultur.
Die Hälfte der Strecke liegt hinter mir. Ich bin bestens in der Zeit und mein Schlafplatz ist sicher und abgeschieden. Heute zwinge ich mich nicht vor Sonnenaufgang aufzustehen und auch werde ich nicht durch einen LKW geweckt. Ich gönne mir zwei Stunden mehr Schlaf als derzeit üblich. Verdienst hat mein Körper diese schon lange.
In Dieuze finde ich außerdem endlich Kaffee. Und Frühstück. Gleich zweimal hintereinander. Ich mache einfach gleich zwei mal einen Stop. Weil ist einfach wunderbar ist morgens kaffee zu trinken und gleichzeitig zu wissen, dass das Navi an der Steckdose hängt.
Ich bin mittlerweile im Elsass einer Gegend, in der die Nähe zu Deutschland mehr und mehr zu erkennen ist. Tagesziel für heute ist Strassburg. Das sind etwas mehr als 100 Kilometer, allerdings liegt das Vogesen-Gebirge dazwischen. Wie viele Höhenmeter das für mich bedeutet, kann ich jetzt nur ahnen. Ich habe allerdings keine Ahnung wie hart das tatsächlich werden wird.
Aufgetankt und fast ausgeschlafen mache ich mich weiter auf den Weg.
Schön ist es hier. Sehr schön.
Nach etwas eineinhalb Stunden Fahrt passiert etwas interessantes. Meine Gedanken kreisen um die hinter mir liegende Strecke und an das was vor mir liegt. Ich denke an zuhause und an meine Freundin. Da überkommt mich eine tiefe Emotion. Ich fange zwangsläufig an zu weinen. Schluchzend vor Freude und vor Sehnsucht rolle ich weinend durch diese abartig schöne Landschaft des hinteren Elsass und kann nicht aufhören zu weinen. Ich weine tatsächlich 20 Minuten bis ich mich endlich wieder zusammen reißen kann.
Was war das? Was ist hier passiert. Ich kann es nicht erklären. Eine Grenzerfahrung, ausgelöst durch eine Summe verschiedener faktoren, Stolz, Freude, Schmerz, die Landschaft, der mangelnde Schlaf, die Einsamkeit, die Zufriedenheit, die innere Ruhe, die innere Anspannung. Alles zusammen vermischt sich in mir und sprudelt durch einen Heulanfall aus mir heraus.
Dieser Anfall von Emotionalität sollte mich im Laufe der nächsten Tage und auch nach meiner Ankunft zuhause immer wieder einholen. Diesen Moment werde ich so schnell nicht vergessen. Ein besonderer Moment.
Klar wird mir während ich noch diesen Moment verdaue, dass ich angekommen bin, auf meiner Reise. Ich bin durch und durch hier. In diesem Hier und Jetzt von dem man immer hört. Bin ganz dort wo ich sein will. Bin unterwegs.
Meine Zufriedenheit trägt ich weiter. Weiter durch die Orte im Elsass. Durch den Wald und irgendwann auch die Berge hoch. Und wie es hoch ging. Brutal und unendlich. Kurve für Kurve kämpfe ich mich weiter hoch. Immer höher immer weiter. Die Hitze macht mich fertig und irgendwann muss ich anhalten und Essen. Völlig leer hab ich mich gefahren und darum ist die halbe Salami und das restliche Baguette schnell in meinem Bauch verwunden.
Allmählich merke ich , dass ich an meine Grenzen komme. Auch wenn ich mehr als gut durch die letzten Tage gekommen bin, stelle ich fest, dass ich hier einen Kampf austrage. In diesem Momenten ermahne ich mich mit den Worten: das ist eine Radreise und kein Kindergeburtstag. Manchmal spreche ich mir diese Worte sogar laut zu. Das hilft.
Nach einer langen Quälerei bin ich endlich über den Kamm des Vogesen-Gebirges gekommen und vor mir liegen sicher 10 Kilometer Abfahrt. Eine würdige Entlohnung. Völlig euphorisch komme ich im Tal bei an. Von hier aus geht es weiter richtung Straßburg. Unterwegs mache ich noch einen ausgiebigen Stop an einem Bach. Das Wasser ist fließendes Glück.
Weil hier niemand vorbeikommt pflege ich die deutsche Freikörperkultur. Meine stinkenden Radklamotten trocknen in den Büschen während ich mir eine Haarwäsche könne. Ich habe viel zu viel Dreck und Sonne auf mir gesammelt. Mit meinen rotbraunen Streifen an Beinen und Armen, meinem rotglühenden Rücken sehe ich sicher nicht mehr normal aus. Normal, was ist schon normal. Wir sind hier auf einer radreise und nicht auf einem Kindergeburtstag.
Über eine unnötig steile Passage, durch Wälder und an Füssen vorbei geht es weiter. An einer Schottenpassage muss ich anhalten um meinen Reifen zu flicken. Meinen neunten mittlerweile, wenn ich mich nicht verzählt habe. Ich ärgere mich schon gar nicht mehr.
Durch kleine Orte an verschiedenen kleinen Kanälen entlang. Immer mehr Rennradler kommen mir entgegen oder überholen mich. Ich nähere mich der Großstadt die Strassburg eben ist.
In Straßburg tanke ich auf. Strom, Zucker und ein Essen, das sich sehen lassen kann. Das Straßencafe in dem ich Pause mache entpuppt sich als marokkanisches Sternerestaurant in dem ich wohl nur deshalb bedient und bekocht werde, weil sonst noch keine Gäste hier sind und weil meine Haare einigermaßen frisch gewaschen aussehen. Mein Glück, denn so steht plötzlich eine riesige Portion marokkanischem Essen vor mir, dessen Namen ich mir natürlich nicht gemerkt habe. Reis, Rosinen, Kalbfleisch, Gemüse. Ein Gedicht.
Alles ist besser mir Essen im Bauch und darum geht es mir auch hervorragend, als ich mit dem Rein auch die französisch-deutsche Grenze überquere. Bin ich in den letzten vier Tagen tatsächlich einmal durch Frankreich gefahren? Scheinbar schon. Zum ersten mal traue ich mich mir vorzustellen einen Tag früher als geplant in München anzukommen. Wenn es so weitergeht wie bisher. Ich fühle mich momentan sowie unbesiegbar.
Mein Tagesziel liegt zwar hinter mir, doch ich fahre natürlich weiter. Mit der schwindenden Sonne und Hitze wachen meine Beine erst richtig auf. Ich mache einen kurzen Stop an einem deutschen Supermarkt. Oh wie wunderbar es ist sich mit dem Sortiment auszukennen. Energieriegel habe ich in Frankreich vergeblich gesucht. Außerdem brauche ich dringend neue feuchte Tücher. Ein Kaffee beim Bäcker, frische Bananen und ein Kassierer der meine Sprache spricht zaubern mir ein lächeln ins Gesicht.
Meine Suche nach einem Schlafplatz führt mich auf deutschen Landstraßen und Feldwegen in richtung Pforzheim. Mein Blick streift durch die Landschaft und da ich kein geeigneten Platz finde fahre ich eben weiter. Auch ein Badesee erscheint zwar zunächst vielversprechend, doch entpuppt er sich als ungeeignet. Zugewachsen und stinkig. Ich schalte mein Navi wieder an trete weiter. Weiter in die Dämmerung.
Ich finde meinen Schlafplatz an einem verlassenen Parkplatz. An einer riesigen Galopprennbahn. Hinter einem Stromkasten fühle ich mich blickgeschützt genug um mein Abendritual durchzuführen und erneut nach weinigen Minuten einzuschlafen. Der Heutige Tag war krass. Das ist alles krass irgendwie. Eben kein Kindergeburtstag.
Tageskilometer: 179 km – Kilometer bisher insgesamt: 773 km
Fortsetzung HIER..
Tag 4: auf Strava: www.strava.com außerdem von der Zugabe
Für den Film, der während meiner Reise entstanden ist gibt es hier schon einen kleinen Teaser:
3 Gedanken zu „Velo La France – Ein Reisebericht – Teil 5“