Fortsetzung von Teil 1
Was hier kommt:
Was hier in mehreren Teilen zu lesen sein wird ist der Ausführliche Reisebericht unseres Trips in die norwegische Hochebene der „Hardangervidda“. Zusammen mit meinem Freund Lennart mit dem ich schon die Alpen im letzten September überradedelt hatte haben wir den Plan gefasst den größten weißen Fleck auf der Europakarte von Norden nach Süden zu durchwandern. Alle Ausrüstung im Rucksack und keine Übernachtungen in Hütten. Eine Woche lang alles was man braucht, auch unser Essen, auf dem Rücken oder am Körper zu tragen. Das war die Mission. Hier kommt der zweite Teil.
Sonntag 30. Juni, 10:15 Uhr – Seit über 10 Stunden auf dem Fjell.
Nach ein paar Metern ist die bedrückende Ungewissheit einer großen Faszination gewichen. Der Weg ist dank der vielen Steinhaufen, auch genannt „Steinmänner“ recht gut zu erahnen und oft sogar richtig zu sehen, wenn kein Schnee unter einem ist. Auf die Karte müssen wir in Zukunft aber doch öfter blicken, denn unser Schlafplatz ist dann doch etwas zu sehr abseits der eigentlichen Route ausgefallen. Windgeschützt auf einer trocken Insel zwischen Schnee- und Sumpflandschaften. Bis um halb eins in der Nacht sind wir noch gelaufen gestern. Eine richtige Nachtwanderung quasi, wenn es nicht so hell gewesen wäre.
Auf dem Weg hierher haben sich unsere Wanderstöcke schon mehr als nur einmal bewährt. Ich weiß nicht wie wir die unzähligen Bäche, die durch die Schneeschmelze zu kleinen Flüssen werden überquert hätten. Lennart landet trotzdem einmal fast im Wasser. Der Schnee entpuppt sich bei den Bächen immer wieder als hilfreich, da er immer wieder natürliche Brücken bietet. Bleibt nur zu hoffen, dass das dünne Schneedach einen trägt.
Im Moment kämpft Lennart mit unserem Kocher. Anscheinend verbrennt das Benzin nicht so wie es soll. Gestern Abend haben wir schon auf unsere übrigen Vorräte aus dem Supermarkt zurück gegriffen, aber auch heute will unser Kocher wohl nicht so richtig. Wenn der allerdings schlapp machen sollte, dann haben wir ein echtes Problem.
Wir freuen uns über schwache Sonne die auf unser Zelt scheint und über unsere Haferflocken mit warmen Wasser statt Milch. Der Kaffe ist eklig aber er macht wach.
Vor uns liegt unsere volle erste Tagesetappe. Zwischen fünf und sieben Stunden wollen wir heute, wie auch an den anderen Tagen, laufen. Ein Blick auf die Karte, die Füße in die Schuhe und das Zelt in den Rucksack. Es geht weiter.
17:30 Uhr – Direkt in den Schlafsack
Gleich nachdem das Zelt steht kriechen wir in den Schafsack. Chips Essen. Unser Weg führte uns über einen Fluss, der mit Stöcken oder Schneebrücken nicht zu überqueren war. Ein gemeines kaltes und tiefes Ding. Was tut man? Wir ziehen unsere Schuhe und Hosen aus, schlüpfen in unsere Sandalen und stapfen in das eisige Wasser. Verdammt ist das kalt. Nach einigen Sekunden schießen mir Lichtblitze ins Gehirn. Eisig ist auch nicht übertrieben immerhin schwimmt nach ein paar Metern eine Eisscholle vorbei. Das wird mir zuviel. Ich nehme einen Umweg in Kauf und rette mich auf einer kleinen Grasinsel in der Mitte des Flusses. Lennart, der hinter mir geht tut es mir gleich. Um uns halbwegs wieder warm zu gekommen rennen wir im Kreis und schütteln unsere Beine. Wenn das nichts hilft kann es schon mal vorkommen, dass man auf seinen blauen Zehen pinkelt. Jeder auf seine eigenen natürlich.
Wir ziehen es durch. Die restlichen Meter schaffen wir auch noch. Blöderweise liegt auf der anderen Seite Schnee, so dass wir noch etwa 200 Meter joggen müssen um wieder trocken Boden zum Anziehen unter uns zu haben. Was für ein Abenteuer.
Nach dem Furten geht es noch zwei Stunden weiter. Immer geradeaus. Irgendwann finde ich meinen Rhythmus. Wenn es dazu komm kann man ewig weiter laufen. Auf den endlos langen Schneefeldern entlang immer zum nächsten herausragenden Steinmann. Ich laufe meistens voraus und konzentriere mich auf meine Schritte und auf meine Atmung. Ich versuch an Zuhause zu denken, an München und meine Freunde. Doch das klappt nicht so richtig. Die Gedanken schweifen wild umher und ich denke an alles und gleichzeitig an nichts. Einfach laufen lassen.
Wir finden unseren Zeltplatz wieder auf einer Insel. „Festland“ wie wir die schneefreien Flächen mittlerweile nennen. Wir sind ausgelaugt. Das Zelt wird aufgebaut, mit einer Zigarette und einem Schnaps auf den Tag angestoßen und die Tüte mit den bröseligen Chips aufgerissen. Wir sind so müde, dass wir beide sofort einschlafen und den Kocher in seiner Hülle lassen.
Samstag 1. Juli, 9:00 Uhr – Der zweite Morgen auf dem Fjell
Irgendwann sind wir dann doch noch aufgewacht und haben unser verspätetes Abendessen nachgeholt. Trotzdem konnten wir beide richtig tief und lange schlafen. Auch wenn es draußen eigentlich immer taghell ist. Wenn der Schlafsack erst mal aufgewärmt ist dann kann ich ihn nur schwer wieder verlassen. Das einzige was mich zum Aufstehen bewegt ist meine volle Blase und die Hoffnung auf ein paar Sonnenstahlen.
Wir haben beschlossen, dass wir auf unseren Abstecher in den Westen, der uns etwa einen weiteren Tag in Anspruch genommen hätte, zu verzichten. Je höher wir kommen desto kälter und nebliger wird es. Schon jetzt zeigt das Thermometer stetig 4-5°C und das auch zur Mittagszeit.
Für unsere heutige Etappe macht das allerdings keinen Unterschied. Das Ziel des Tages ist der „Harteigen“ Der höchste Berg in der Hardangervidda, in der besonderen Form eines riesigen Puddings. Auf der Karte ist wieder eine Sommerbrücke und eine weitere Furt eingezeichnet. Davor graut es uns ein wenig. Wenn wir Glück haben wird dort wieder so viel Schnee liegen, dass wir denn Fluss wieder auf die bequeme Art überqueren können, doch die Furt liegt zu tief, dass wir bereits ahnen, dass daraus nichts wird.
Wir haben gemerkt das das Flussüberqueren nicht nur Zeit sondern auch Kraft kostet. Bei diesen Temperaturen noch ins kalte zu Wasser steigen nagt eben doch an den Reserven.
Lennart macht wieder Frühstück. Löslicher Kaffe mit Cappuccino als Milchersatz und das bereits erwähnte Müsli mit warmen Wasser. Kraft gibt das schon, nur zuhause würde ich das dann doch anders machen.
Das Wetter scheint besser zu werden. Zwar ist es noch genau so kalt, doch zeigen sich immer wieder einige sonnige Flecke auf den Hügeln und Bergen um uns herum. Auch wenn die Sicht gut ist wie an diesem Morgen lässt sich die Weitläufigkeit der Hardangervidda nur erahnen. Endlos erstrecken sich die Hügel und die Täler und ich kann nur staunen wenn ich daran denke, dass es hinter den fernen Kuppen genau so weiter gehen wird. Wirklich eindrucksvoll die Gegend in der wir hier gelandet sind.
13:00 Uhr – Hadlaskart
Mittagspause. Das Wetter ist dann doch sehr schnell wieder sehr schlecht geworden. Über einen zähen Pass haben wir uns durch Regen und Seitenwind gekämpft. Schlimm ist das wenn man losläuft aber irgendwann akzeptiert man das Wetter und noch später bemerkt man den Regen kaum noch.
Letztendlich haben wir es dann geschafft an unseren jetzigen Rastplatz mitten in einem wunderschönen Tal. Wir sind wieder sehr tief, was die Höhenmeter anbelangt deshalb ist das Klima hier wesentlich angenehmer. Es liegt fast kein Schnee mehr hier unten und auch die Wolken sind so weit über uns, dass wir einen traumhaften Blick über ein malerisches Tal genießen können. Dass es solche schönen Landschaften gibt habe ich schon gesehen. Allerdings nur auf Fotos. Jetzt tatsächlich hier in diesem Paradis zu sitzen macht uns beide direkt andächtig.
Wir Blicken hinter die nächste Kuppe und auf die Karte. Der „Harteigen“ ist schon zu erkennen unverwechselbar wie der eben aussieht. Hoch über uns in der Wolken zeigt sich unser Ziel für die nächsten Stunden.Doch zuvor müssen wir noch eine Menge Höhenmeter und zwei Flüsse überwinden.
Der erste Fluss liegt direkt vor uns. Eine Brücke gibt es scheinbar nicht, nur eine Seilkonstruktion, von der wir nicht nicht wissen wie sie uns auf die andere Seite bringen soll. Wir werden sehen. Als erstes genießen wir unsere Pause an diesem fantastischen Ort. So anstrengend es auch ist hier, wir genießen jede Stunde.
18:20 Uhr – Am Harteigen
Diesen Nachmittag haben sich die Ereignisse überschlagen. Die Flussüberquerung war ein Adrenalinkick der besonderen Art. Es stellte sich heraus, dass die Sommerbrücke einfach noch nicht aufgebaut war. Stattdessen finden wir nur zwei Drahtseile über den Fluss gespannt. Vom wegen Seilkonstruktion, von der wir noch nicht wissen wie sie funktioniert. Die Brücke steht einfach noch nicht. Was also tun? Wir müssen da rüber da hilft alles nichts. Wir sichern uns mehr notdürftig als anständig an einem der Drahtseile und nehmen jeweils einen der Metallbügel, auf die anscheinend die Bretter im Sommer trägt und zeihen uns auf die andere Seite. So der Plan. Lennart macht den Anfang. Ich schaue nur kurz hin und weicht die Kraft aus meinen Gliedern. Ich kann dass nicht mit ansehen. Unter uns der reißende Gebirgsfluss und an den Händen das kalte Drahtseil. Bei einem Sturz nach unten ist die Gewissheit, dass man nass wird noch die harmloseste. Da heißt es Zähne zusammen beißen. Krasse Geschichte die wir da erleben. Ich darf nicht drüber nachdenken sonst bekomme ich richtig Panik.
Mit viel Schweiß haben wir es dann doch noch heil nach drüben geschafft. Wir fallen uns als erstes einmal in die Arme und müssen lachen. Und rauchen. Und sitzen.
Die Wanderung geht weiter durch ein ein weiteres traumhaftes Tal immer weiter nach oben. Zum ersten Mal auf unserer Tour können wir die Regenjacken ausziehen. Was 4°C für einen Unterschied machen. Wir staunen und laufen weiter bis zu unsrer Furt. Eine Brücke gibt es hier keine. Das bedeutet kalte Füße. Zum Glück ist der Fluss nicht so breit und auch nicht so tief wie der gestrige. Alles ist gut. Alles geht gut.
Sobald wir unsere Schuhe und unsere Hosen wieder tragen, unsere Regenhüllen über die Rucksäcke gezogen haben und in unsere Jacken geschlüpft sind geht es los mit dem Unwetter. Es beginnt der anstrengende Teil der Wanderung. Es geht steil nach oben und damit ändert sich auch wieder das vorherrschende Landschaftsbild. Schneebedeckt und felsig. Links und rechts fast senkrechte Felswände, unter unseren Füßen Matsch, Moos, Schnee und Eis und über uns der Wolkenbruch gegen den auch Noah selbst nichts hätte sagen können. Durch eine steile Rinne mühen wir uns immer weiter zu unserem Tagesziel. Es sollte bald geschafft sein.
Wir kommen immer weiter nach oben und ich kann mittlerweile nicht mehr unterscheiden zwischen Regenwasser und Schweiß unter meiner Kleidung. Kein Stück, wirklich kein Stück an mir ist trocken. Sogar die Unterhose ist durchnässt und von den kleinen Seen in meinen Schuhen will ich gar nicht reden.
Plötzlich passiert etwas magisches. Der Regen hört etwa 500 Meter vor dem Gipfel schlagartig auf. Lennart reicht mir auf dem Schneefeld einen Keks. Gierig beiße ich hinein als im gleichen Moment der Himmel aufreißt und uns in grelles Sonnenlicht taucht. Was für ein Moment. Ich könnte heulen vor Glück.
Es geht weiter. Es geht immer weiter. Blöd das noch extra zu erwähnen. Noch es nicht geschafft. Ein steiler Hang muss noch mehr erstiegen als hochgelaufen werden. Der Wind meldet sich zurück und mein Körper ist aufgrund der Nässe völlig ausgekühlt. Meine Finger spüre ich kaum mehr. Was hat mich nur dazu bewegt meine dünnen softshellhandschuhe wieder aus meinem Rucksack zu nehmen?
Oben angekommen. Endlich, oder auch egal. Ich weiß es nicht. Der Ausblick ist einmalig und atemberaubend. So weit ich das noch mitbekomme auf dem höchsten Punkt in der Hochebene. Ich muss lachen, alles scheint verrückt oder bin ich selber verrückt geworden. Ich bin eindeutig an meiner Grenze für heute angekommen. Zum Glück sind wir oben.
Direkt am Fuße des Berggipfels schlagen wir unser Zelt in den Boden. Hinter einem Felsvorsprung sehe ich kurz einige wenige Geweihe und ein paar Köpfe einer Rentierherde. Nur einen Moment dann verschwinden die scheue Tiere wieder. Was für ein voller Nachmittag.
Mit kaltenFingern und Füßen bauen wir das Zelt fertig auf. Während es wieder regnet. Ich muss muss sobald wie möglich in meinen Schlafsack sonst muss ich heute noch sterben.
Im Schlafsack trage ich mittlerweile alles was ich an Kleidung dabei habe. Wenn meine Hose, die Regenjacke und die Stiefel mit den Gamaschen im Vorzelt versuchen zu trocknen liege ich mit den zweiten Paar Socken, der Sportunterwäsche, der Fleecejacke, meiner kurzen Laufhose (warum hab ich die überhaupt dabei?) und der Mütze im Schlafsack.
Lennart macht Essen. Zum Glück. Ist ein harter Knochen dieser Typ. Es beginnt tatsächlich an zu schneien. Meine Füße sind immer noch noch nicht kalt und werden es wohl auch bis zum Ende der Nacht nicht warm werden.
… Fortsetztung folg
3 Gedanken zu „Wandern in Norwegen – Teil 2“