Seit fast zwei Wochen steht mein Fahrrad samt Taschen in der Wohnung. Umgeben von einem Haufen Ausrüstung . Das mit den Haufen meine ich durchaus wörtlich. Die Abende verbringe ich vorfreudig und nervös mit Sortieren, Grübeln und Abwägen.
Was muss mit, was darf mit und was nicht für eine Woche im Spätsommer in Dänemark?
Auf dieser Fahrradreise soll es weniger um möglichst viele Kilometer gehen. Vielmehr will ich eine gute entspannte Zeit haben. Ab und zu mal inne halten. Wo es schön ist etwas länger verweilen und dabei natürlich trotzdem viel Radfahren. Weil Dänemark außerdem nicht für seine Höhenmeter bekannt ist, gönne ich mir den ein oder anderen Luxusgegenstand. Ultraleicht ist nicht alles. Am Ende wiegt mein bepacktes Rad 26 kg. Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Soll ich mal meine Packliste veröffentlichen?

Was ist überhaupt der Plan? Offensichtlich Fahrrad fahren und anscheinend auch draußen schlafen. Ich werde am Freitagabend in München in den ICE steigen, um morgens in Hamburg anzukommen. (Hoffentlich schaffe ich es dabei etwas zu schlafen.) Von Hamburg geht es weiter mit dem Nahverkehr bis nach Fehmarn. Mit der Fähre geht es nach Dänemark auf die Insel Lolland. Dort steige ich aufs Rad und starte meine Tour. Die geht grob gesagt von Osten nach Westen. Dabei habe ich vor in spätestens sieben Tagen in Sylt in den Zug zu steigen, um über Hamburg zurück nach München zu fahren. Die Plätze im Zug habe ich vor sagenhaften 6 Monaten gebucht und darum auch nur 100 Euro bezahlt. Daher auch diese bestimmten Rahmenbedingungen.
Dank des hervorragenden Radnetzes in Dänemark, fällt die Routenplanung nicht schwer. Dänemark ist auch wegen der vielen Schutzhütten (shelter) perfekt geeignet für Radreisende. Weil die Saison schon fast vorbei ist, werde ich nur wenige andere Menschen mit Fahrrad begegnen.
Aber ich greife vor.

Tag 0 / Anreise
Die Anreise funktioniert tatsächlich reibungslos. Ausgeruht bin ich leider überhaupt nicht. Das mit dem Schlafen hat im Neonlicht beleuchteten ICE Abteil hat nur minutenweise funktioniert. Müde stolpere ich auf den Bahnsteig in Hamburg. Die Fahrt mit dem Regionalzug nach Lübeck und sogar der Schienenersatzverkehr samt Fahrradanhänger nach Fehmarn klappt dafür ganz hervorragend. Um 11 Uhr steh ich am Fährhafen und schiebe mein Rad in den Bauch der Fähre. Schon verrückt. Noch vor 12 Stunden bin ich in München in den Zug gestiegen. Jetzt bin ich 800 Kilometer weiter nördlich und schon geht sie los, die Abenteuerfahrt.
Auf Lolland fahre ich ein paar Meter auf dem Deich um mich an der erstbesten Sitzgelegenheit umzuziehen. Ursprünglich wollte auf der Toilette der aufFähre von Freizeit- zu Radkleidung wechseln. Der hygienische Zustand dieser hatte mich dann aber doch davon abgehalten. Herbstlicher Wind und Sonnenschein begrüßen mich am Deich und ich beginne mit den ersten Kilometern. Links die Ostsee, rechts von mir flaches Land. Irgendwie fühle ich mich als wäre ich aufs Rad gefallen. Ich brauche wohl noch eine Weile bis ich „angekommen“ bin.
Karte und Hungergefühle leiten mich zu einem Gasthaus. Eine Tafel verspricht was von Fisch. Die alte Dänin hinter der Theke versteht mich nicht und ich sie auch nicht. Darum deute ich nur wahllos auf Stücke Geräuchertes und gehe schwer davon aus, dass es schon schmecken wird. Tut es natürlich.

Nach ein paar Stunden hab ich schon Lolland, die erste Insel meiner Reise, durchquert und so stehe ich plötzlich ganz überrascht am Fährhafen. Fahrkarte kaufen -Toilette benutzen – Fotos machen – Fisch aufessen. Nächster Halt: Langeland. Am Hafen von Spodsbjerg gibt es nicht viel Interessantes für mich. Bis auf einen Imbiss, der angesichts dem rauen Wetter besonders einladend erscheint. Dort drinnen besiegel ich, dass in den kommenden Tagen vorrangig seafood auf dem Speiseplan stehen wird. Ich glaube, so hab ich mir das vorgestellt. Das mit dem Dänemarkurlaub.
Ich merke, dass meine Kraft schwindet. Die Anreise und die Nacht ohne nennenswerten Schlaf. Das geht alles nicht spurlos an mir vorbei. Der nächste shelter sieht ansprechend aus auf den Internetbildern und ist nur ein paar Kilometer weiter. Leider ist der schon besetzt von einer Gruppe Motorradfahrer. Schade. Ich hätte wirklich gerne bald Feierabend gemacht. Ich beschließe noch ein drittes Mal für heute die Fähre zu nehmen und auf der Insel Ærø den erstbesten Campingplatz anzusteuern. Das ist zwar weniger romantisch als in einer Schutzhütte, aber das ist mir gerade gar nicht so wahnsinnig wichtig.
Auf dem Weg zum Hafen in Rudkøbing Sogn besorge ich mir noch ein Abendessen vom Supermarkt. Die Wartezeit von zwei Stunden am Hafen verbringe ich mit Sonnenuntergangsglotzen, lesen und dem Aufsaugen der spätsommerlichen Atmosphäre. Das Herumsitzen ohne voranzukommen tut mir gut. Es hilft mir zu realisieren, wo ich gerade bin. Oft bin ich auf meinen Radreisen wie getrieben. Mache kaum Pause und wenn, nur kurz. Die Tatsache, dass auf meiner Route diverse Fährverbindungen liegen, verschafft mir immer wieder unumgängliche Pausen. Pausen die ich gerne annehme.
Die letzte Fähre des Tages fährt die wenigen anderen Fahrgäste und mich in die Nacht. Als ich von Bord rolle, ist es dunkel. Auf zum Campingplatz. Gut, dass ich dort schon angerufen hatte, um mich außerhalb der Rezeptionszeiten anzukündigen. Der Zeltaufbau erfolgt im Wind. Obwohl ich hundemüde bin, habe ich das Bedürfnis zu duschen. Blöderweise habe ich keine dänischen Kronenmünzen, die dafür notwendig wären. Also behelfe ich mir alternativ mit dem Waschbecken und setzte dabei den halben Waschraum unter kaltes Wasser. Ich habe meine Handtuch im Zelt liegen lassen und so husche ich ausgekühlt im Schein der Taschenlampe über den nassen Rasen in Richtung des warmen Schlafsacks. Dort liege ich vor lauter Eindrücken noch länger wach, als mein müder Leib sich das vorgestellt hat. Was für ein erster Tag.








Sonntag. Tag zwei.
Mein Zelt ist nicht groß. Aber es ist trocken und windfest. Letzte Nacht hat es ganz schön gepustet. Ich schäle mich ausgeruht aus dem Schlafsack und mache mich ans Kaffeekochen. Ein schönes Morgenritual. Blöderweise stoße ich meine Wasserflasche um. Kein Wasser – kein Kaffee. Um zum Wasserhahn zu stapfen, müsste ich mich anziehen und wenn ich mich anziehe, kann ich auch gleich ganz zusammenpacken. Für meine Faulheit kann ich nichts.
Ich bin weit gekommen gestern. Weiter als gedacht und darum nehme ich mir vor, die Insel Ærø, die als besonders schön gilt, genauer zu erkunden, als wenn ich nur direkt darüber fahren würde. Ich mache Fotos von denkmalgeschützten Badehäusern und von gemütlichen Orten aus dem 18. Jahrhundert. So muss das sein. Ich hab geahnt, dass es hübsch wird hier und wurde nicht enttäuscht. Am Fischrestaurant kehre ich ein für ein üppiges Essen in einer friedlichen Kulisse. Gute Zeiten.
Im Anschluss folgt noch ein Abzweiger zur schönen Steilküste. Dann erwischt mich, wie aus dem Nichts, ein Regenschauer besonderer Güte. Heftig, aber dafür schnell wieder vorbei.
Irgendwann zur Mittagszeit bin ich fertig über die kleine Insel gefahren und weil ich auch nicht künstlich irgendwo länger bleiben muss, steuere ich den Hafen von Søby an. Auf nach Fyn!


Dachte ich. Ich muss jedoch feststellen: Am Sonntag fährt die Fähre nicht nach Fåborg Sogn. Mist. Meine Pläne sind durchkreuzt. Meine Stimmung ist gedämpft. Ich war gerade so in Fahrt. Ich setze mich in das Restaurant am Hafen, bestelle mir einen Hotdog und Kaffee und gehe meine Optionen durch.
Mein Plan A, heute mit der Fähre Von Søby nach Fåborg Sogn zu schippern/fahren, ist gestrichen.
Plan B wäre, die Fähre in zwei Stunden nach Fynshav zu nehmen und von dort aus mit dem Rad weiter zu fahren. Das würde bedeuten, dass ich einen großen Teil meiner sorgsam geplanten Route aufgeben würde. Komoot ist ja nicht immer zu trauen, was die Routeauswahl angeht. Ein Umweg wäre es außerdem auch. Plan B fällt also auch weg. Ich hab gar keinen Bock, meine schöne Route über Fyn aufzugeben.
Oder Plan C: Ich fahre mit der Fähre nach Fynshav , um dann zwei Stunden später mit der nächsten Fähre nach Bøjden auf Fyn zu fahren. Das wäre zumindest in der Nähe von Fåborg Sogn. Allerdings wäre ich dann den restlichen Tag mit Warten und Bootfahren beschäftigt. Dabei ist ausgerechnet heute das Wetter noch einigermaßen trocken im Gegensatz zu morgen. Da soll es richtig schlecht werden. Schade um die günstigen Stunden im Sattel. Ich hab heute noch keine 30 km hinter mich gebracht. Alles irgendwie unbefriedigend.
Ich fasse einen Entschluss. Plan D. Ich werde die heutige Nacht nochmal auf Ærø verbringen und morgen früh die erste Fähre nach Fåborg Sogn – meine ursprüngliche Route – nehmen. Schön ist es hier ja und verweilen, dort wo es schön ist, wollte ich ja sowieso.
Ob das jetzt die richtige Entscheidung ist, weiß ich nicht. Wenigstens ist es eine Entscheidung und damit herrscht zumindest für heute Klarheit. Am Supermarkt (der ironischerweise am Sonntag geöffnet hat) decke ich mich ein mit Snacks und steuere den nächsten Shelterplatz an. Der ist nur 10 Minuten entfernt. Theoretisch.
Blöderweise finde ich ihn nicht. Das kleine Waldstück aus der Wegbeschreibung ist zwar sehr hübsch, doch sehe ich keine Schutzhütte weit und breit. Bin ich blind? Alternativ rolle ich an einem Campingplatz vorbei. Damit ist es entschieden. Ist mir auch recht. Dort gibt es zumindest Strom und eine Dusche.
Es ist 16 Uhr, mein Zelt ist aufgebaut. Ich habe ausgiebig geduscht und gegessen und für heute keine weiteren Verpflichtungen. Ich greife meinen Klappstuhl und besuche den Strand. Steilküsten im Blick und eine tief stehende Nachmittagssonne. Die Stimmung ist gut in Dänemark. Später prasselt Regen auf die Zeltplane.









Montag. Tag drei
Mein Wecker piept um 6 Uhr. Das ist trotz früher Bettruhe früh für mich. In einer Stunde muss ich an der Fähre sein. Zelt abbauen. Powerbank von der Steckdose am Nachbarplatz abziehen. Taschen packen. Kaffee gibt es später irgendwann. Zuerst wird rasch den Hügel runter in den Ort gerollt. Ich bin früh dran. An der Leuchttafel am Fährterminal steht die Botschaft, die mir den Morgen versauen wird. Die Fährfahrten nach Fåborg Sogn sind für heute gestrichen. Es ist zu windig.
Soll ich jetzt lachen oder weinen? Die Nachricht trifft mich härter, als sie sollte. Hätte ich das gestern schon gewusst… Hätte ich dies oder wenigstens das… Ich schimpfe in mich hinein. Es ist kalt und es regnet. Ich muss auf meinen Plan C zurückgreifen und habe dafür gestern wertvolle Sonnenstunden „verschenkt“. So fühlt es sich zumindest an.
Wartezeit und Ärger überwindet man am besten mit Essen. Ich hab Zeit und darum studiere ich das Sortiment im Supermarkt noch einmal sehr genau. Ich fühle mich immer noch fehl am Platz.
Irgendwann darf ich endlich auf das Schiff. Ich bin müde und grantig, als ich auf das wellige Wasser blicke. Es stimmt natürlich. Es ist windig, sehr windig heute. Der Kaffee vom Bistro hilft nur wenig, die Laune aufzuhellen.
In Fynshav heißt es dann nochmals warten. Nochmal auf eine Fähre rollen und nochmal aufs Wasser blicken. Es dauert lange, bis ich endlich wieder auf dem Rad sitze und meiner Route folgen kann. Ab dem Zeitpunkt, als ich mein Vorankommen wieder selbst in der Hand habe, geht es schlagartig besser. Radfahren ist Autonomie und wenn die plötzlich nicht mehr gegeben ist, werde ich unausgeglichen.
Ab jetzt werden Meter gemacht. Schließlich habe ich ordentlich was nachzuholen. In den letzten 24 Stunden bin ich quasi nicht vom Fleck gekommen.

Also geht das Geschrubbe los . Ich will aufholen, was aufzuholen gilt. Motiviert trete ich durch die abwechslungsreiche Landschaft. Das Wetter ist viel weniger gruselig ,als die Wetterkarte es prophezeit hatte. Die Wolken lassen immer wieder mal den blauen Himmel durchblicken und wenn es mal regnet, regnet es zwar heftig. aber dafür nur kurz. Damit kann ich leben. Nicht alles, was unerwartet passiert, ist schlecht. Lediglich der Wind erweist sich als zäher Gegner. Immer häufiger tendiert meine Reiserichtung gegen die Windrichtung. Passagen, in denen ich ziemlich drücken muss, um gefühlt trotzdem kaum vom Fleck zu kommen.
Mit einem Hörbuch auf den Ohren überbrücke ich die Zeiten, in denen es richtig mies ist.
Viele Orte durchquere ich nicht. Wenn, dann genieße ich es. Schön ist es durch Dänemark zu fahren. Überhaupt, das was ich hier vor die Augen bekomme, kompensiert sämtlichen Frust der letzten 12 Stunden.
Mittagessen gibt es in „Assens“. Pizza plus Cola vom Fastfoodimbiss. Alles sehr radfahrertypisch. Außerdem darf ich die Steckdose benutzen.
Zum Thema Stromversorgung muss ich etwas ausholen. Üblicherweise habe ich ein USB-Werk von Busch und Müller an meinem Nabendynamo hängen. Damit komme ich sonst auch mehrere Tage super aus. Tagsüber, wenn ich keine Beleuchtung brauche, tanke ich meine Geräte langsam aber stetig während dem Fahren auf. So hab ich immer mindestens eine halb volle Powerbank auf Reserve dabei. Ziemlich entspannt eigentlich. Nur auf dieser Reise ist beim Thema Strom der Wurm drin: Eines meiner USB-Kabel ist wählerisch, die eine Powerbank gibt widersprüchliche und sprunghafte Angaben zum Ladestand. Mein USB-Werk gibt irgendwann ganz auf. So kommt es, dass ich möglichst jede Gelegenheit eine Steckdose anzuzapfen, nutzen muss. Das nervt auf Dauer, denn in der romantischen Natur gibt es nur selten Steckdosen.
Die Pizza ist lediglich in Ordnung, aber das stört mich nicht. Ich freue mich vor allem über ein voll geladenes Handy und einen vollen Bauch. Nach einer gefühlten halben Stunde Pause schwinge ich mich wieder aufs Rad. Ich hab einen shelter rausgesucht, für den es sich lohnen wird noch ein paar Stunden Stoff zu geben. Mit der Ostsee im Sichtfeld trete ich weiter und weiter. Zum Glück habe ich gute Beine heute. Landschaftlich kickt das alles auch hier. Hinter jedem Hügel ein neuer schöner Ausblick.
Auf den letzten Metern erwischt mich noch ein Gewitter, das mich fast vom Fahrrad bläst. Umso froher bin ich, als ich eine der schönsten Schlafgelegenheiten der Reise erreiche. Heute hab ich geflucht und geschwitzt. Das Gefühl nach so einem Tag in einen warmen Schlafsack zu kriechen, das wilde Wetter ausgesperrt, ist unbezahlbar. Ich zaubere noch eine Dose Bier hervor und telefoniere mit bester Laune mit meinem Zuhause. Mit der Dämmerung endet auch dieser Tag.










Dienstag. Tag 4
Draußen herrscht seit heute Nacht Weltuntergang. Ich liege in der gemütlichen Schutzhütte und will eigentlich gar nicht da raus. Beim Kaffeekochen stoße ich den Kochtopf um, und die wertvolle Flüssigkeit fließt zwischen den Holzdielen davon. Mist. Ich bin ein Trottel.
Das war mein letztes Wasser. Kein Wasser, kein Kaffee. Noch ein Grund in die Gänge (!) zu kommen. Mein chronisch verspannter Rücken bekommt noch etwas Aufmerksamkeit mit dem Massageball. Dann schlüpfe ich in die klammen Radklamotten.

Im Regen zu starten ist nie schön. Heute leide ich allerdings besonders. Traditionell, und so auch heute, ist Tag vier gefühlt besonders hart. Bei Gegenwind komme ich nur mühevoll voran. Dauerhafte 11 km/h sind einfach demotivierend. Den erstbesten Supermarkt erreiche ich erst nach einer Stunde. Unter meine Arme klemme ich so etwas Ähnliches wie ein Frühstück und Getränke. Snacks zur Motivation. Ein Ersatzkabel.
Als ich den Supermarkt verlasse, klart es am Himmel schon wieder auf. Zum Glück. Ich schlängele mich durch die kleinen Ortschaften rund um Middelfahrt und verlasse die Insel Fyn über die Brücke nach Snoghøj auf dem dänischen „Festland“. Windig ist es hier genauso, und leider irgendwie gar nicht mal so hübsch. Die nächsten Kilometer führt mich meine Route vor allem an stark befahrenen Bundesstraßen entlang durch Industriegebiete. Da muss ich wohl durch. Irgendwann wird es schöner. Ein bisschen anstrengend ist es trotzdem heute. Meine Beine zeigen mir den Mittelfinger.
Hügel folgt Hügel, Sonnenstunde folgt Schauer. Konstant bleiben neue Ausblicke und Eindrücke.
Einmal am Tag gönne ich mir ein warmes Essen. Der Mensch lebt nicht von Fruchtquetschies, Nussmischungen, Lakritze und Haribo allein. Heute darf es auch ein Cheeseburger in der ansehnlichen Innenstadt von Vejle sein.
Eine warme „anständige“ Mahlzeit wirkt wie so oft Wunder. Für den Rest des Nachmittags läuft es besser. Auch die Landschaft wird anders. Ganz ohne Hügel fahre ich – halbwegs windgeschützt von Hecken – am Vejle River entlang. Bis es „sagenhafte“ 90 Meter in die Höhe geht. Auf halber Höhe habe ich einen Platten. Zeit zum Verschnaufen. Auch gut. Ich merke, dass ich kürzlich erst gut gegessen habe. Sonst wäre meine Laune womöglich im Keller.

Ein Platten trotz teurem TPU-Schlauch? Das kann eigentlich nicht sein, denke ich mir noch. Will mich schon innerlich empören. Doch als ich sehe, wie stark runtergefahren mein Reifenprofil ist, werde ich kleinlaut. Es grenzt eher an ein Wunder, dass ich so weit ohne Panne gekommen bin. Vielleicht schaue ich mich bei Gelegenheit nach einem Ersatz um. Der Ersatzschlauch ist schnell getauscht. Bei der Gelegenheit bekommt auch meine Kette etwas Zuneigung. (evtl. besser: Zuwendung?)
Wo ich gerade explizit von meinem Fahrrad spreche: An der Stelle möchte ich einmal feststellen, wie gut mich auch dieses Mal mein „Bruder Jakob“ begleitet hat. Mein sonst übliches Problem mit tauben Fingern habe ich dank höherem Lenker in den Griff bekommen. Seit ich wieder von Klickies zu Flatpedals gewechselt bin, schlafen auch meine Zehen nicht mehr ein. Keine Knieprobleme, und auch keine übermäßig verspannte Nackenmuskulatur. Richtig toll das alles.
Was ich schon habe, ist ein schmerzender unterer Rücken. Vor allem dann, wenn ich vom Fahrrad absteige. Ich behelfe mir dann immer mit meiner kleinen Faszienrolle und den üblichen Übungen. Irgendwann bekomme ich das auch noch in den Griff.


Wie üblich geht eine Woche intensives Radfahren mit Gepäck nicht ganz spurlos an meinem Bike vorbei. Mein selbstgebauter Stabilisator für meine große Satteltasche ist abgebrochen und wird nur durch Kabelbinder und Hoffnung zusammengehalten. Die Schalthülse am Schaltwerk ist so ausgefranst, dass es sich nur mit großer Fingerkraft in die leichten Gänge schalten lässt. Der Rollverschluss meiner Vordertasche erweist sich als zu kurz, so als wäre diese chronisch überfüllt. Beim Transport im Zug ist meine Klingel am Unterlenker kaputtgegangen. Lauter so Kleinigkeiten.
In meinem Notizbuch steht eine immer länger werdende Liste mit Dingen, die ich nach meiner Heimreise in Angriff nehmen werde. Nach der Radreise ist vor der Radreise.
Zurück zu dieser Reise. Es folgen Wege durch die dänische Landwirtschaftslandschaft. Viele Pferde ziehen vorbei. Wahnsinnig viele Vögel auch. Ich sichte mehrmals ganze Gruppen von Fasanen. Überhaupt gibt es wie jeden Tag ganz viel zu sehen.
Für heute habe ich mir ein sportliches Ziel gesetzt: Ein einladendes Shelter, für das ich heute die 90 Kilometer knacken muss. Also Hörbuch ins Ohr, Kopf nach unten und weiter in die nächste Schlacht gegen den Wind. Ich weiß: Es ist schon fast langweilig. Aber „windig“ ist der vorrangige und durchgehende Zustand. Alles besteht aus Wind. Wind, Wind, Wind. Wind und untergehende Sonne. Als ich gegen 19.30 Uhr abends das Shelter inmitten eines Zauberwaldes erreiche, fühle ich mich, als hätte ich gewonnen. Für heute zumindest.
Abendessen, Körperpflege im Rahmen der Möglichkeiten, Feierabendbier. Danach wilde Träume von Pilzen und Windrädern.








Vielen Dank an Dori und Tim fürs Korrekturlesen!