Vor einiger Zeit lud mich der fabelhafte Rick Rider ein, Teil der Online Ausgabevon Pedale und Poeten zu sein. Ein Format das klingt als wäre es ausschließlich für mich gemacht. Nur eben in der falschen Stadt. Also für mich die falsche Stadt, denn Hamburg ist an sich ja großartig. Das Internet verbindet eben auch München und Hamburg und so durfte ich ungewohnterweise einen Text in mein Tablet sprechen und mir die Zuhörerreaktion eben vorstellen. Eine Ungewohnte aber tolle Erfahrung.
Der Thema des Abends war: “Dann kam alles anders als geplant” und so heißt auch mein Text:
Ich bin Radfahrer. Ich fahre gerne Rad. Und wenn ich nicht Rad fahre, mache ich Pläne über das Radfahren. Wo hin? Wann? Wie lange? Wo entlang? Mit welchem Rad? Was nehme ich mit?
Ich mache Pläne. Am laufenden Band. Mein innerer Blick ist stets nach vorne gerichtet. Auf die imaginäre, vor mir liegende Straße in meiner Vorstellung.
Einen großen Teil meiner Zeit verbringe ich mit Radfahren und einen noch größeren mit dem Planen von Radtouren. Je konkreter die Vorstellung, desto größer die Vorfreude.
Jetzt passiert es meist ganz schnell, dass die lang vorbereiteten Pläne nicht aufgehen. Dann, wenn alles anders wird als geplant.
Ich plane von München nach Hamburg zu fahren. Im Dezember. Im Wetterbericht und in meiner Vorstellung ist dabei von Schnee keine Rede. Wer kann auch im Dezember mit Schnee rechnen?
Doch jetzt stehe ich in der Rhön bei minus 6 Grad, Glatteis und tauben Zehen und kann nicht weiterfahren.
Ich plane von der Normandie durch Frankreich nach München zu heizen. Mit wenig Gepäck und wenig Schlaf Kilometer fressen.
Jetzt stehe ich am Abend des zweiten Tages der Reise in der weiten Landschaft der Ardenne und habe nach dem zehnten Platten keinen Ersatzschlauch und keine Flicken mehr. Ich kann nicht weiterfahren.
Ich plane den Eifel-Graveler zu fahren. Mein „Highlight“ des Radjahres. 5 Tage durchs Gemüse treten und Freiheit erleben. Doch jetzt stehe ich am Morgen des zweiten Tages da, ohne Kraft in den Beinen, einen wunden Hintern, Tränen in den Augen und kann … ganz richtig: nicht weiterfahren.
Das Schema ist immer dasselbe. Ich plane – ich fahre – meine Pläne platzen – ich stehe.
Als Radfahrer plane ich nur das Fahren, nicht das Stehen. Wenn alles anders kommt als geplant, erlebe ich Stillstand. Das macht mich fertig.
Im ersten Moment. Im ersten Moment der missglückten Pläne bin ich zurückgeworfen auf mich alleine. Nichts rührt sich.
Im zweiten Moment. Mit allen Plänen, die mir durchkreuzt werden, muss ich umgehen. Im zweiten Moment beginne ich daher etwas zu tun. Etwas, das ich nicht geplant habe, aber selbst entscheide.
Statt nach Hamburg durchzufahren ändere ich meine Pläne und nehme den Zug zu Freunden. Der fährt auch bei Schnee und meine tauben Zehen freuen sich.
In der weiten Agrar-Landschaft Frankreichs beginne ich mein Rad Richtung Ungeplantes zu schieben. Ich habe keine Ahnung, wohin. Nur stehenbleiben wird mich auch nicht weiterbringen. Schieben ist besser als Stehen.
Statt den Eifel-Graveler mit seinen gnadenlosen Anstiegen fertigzufahren, mache ich mich lieber über sanften Hügeln auf den Weg nach Hause. Ich habe eine knappe Woche keine Termine, gut ausgebaute Radwege vor mir und ein fertig gepacktes Rad unter dem Hintern.
Nach dem ersten Moment des nicht Fahrens – dem Stillstand – beginne ich zu handeln. Ich gehe in einem zweiten Moment mit meiner Situation um. Das kann zwar immer noch unbefriedigend und enttäuschend sein, aber es ist besser als stehenzubleiben. Alles ist besser als stehenzubleiben.
Was nach dem zweiten Moment der durchkreuzten Pläne kommt, definiert für mich den Zauber des Radfahrens. In einem dritten Moment offenbart sich nämlich häufig die Magie des Ungeplanten. Der dritte Moment, der nach einem durchkreuzten Plan kommt, ist der wichtigste Grund, warum ich Rad fahre.
Auf meiner Wintertour nach Hamburg trägt mich der Zug zu Freunden, die ich viel zu selten treffe. Ich erfahre am eigenen Leib, dass man unter einer warmen Dusche eine Wiedergeburt erleben und dass ein Topf Pasta samt Glas Primitivo inneren Weltfrieden stiften kann. Viel lieber als an ein paar fertig gefahrene Kilometer erinnere ich mich an diesen schönen Abend auf der Couch bei Freunden. Weiter nach Hamburg fahren konnte ich trotzdem – am nächsten Tag. Manchmal kann ein Plan B besser sein als Plan A.
Als ich mein plattes Rad in der Abendsonne durch die vom Handynetz abgeschnittene Landschaft schiebe und die vollkommene Ratlosigkeit wie eine Gewitterwolke über mir hängt, taucht plötzlich ein Pick-up vor mir auf. Das freundlichste Ehepaar der mir bekannten Welt lädt mich und mein plattes Rad nach einigen ungelenken Gebärden und Englischfetzen auf und in der nächsten Kleinstadt vor einem Radladen in direkter Nähe zu einem Hotel ab. Alles, was ich brauchte, von dem ich keine Ahnung hatte, wo ich es finden würde, steht jetzt genau vor meinen Füßen.
Nach meinem abgebrochenen Eifel-Graveler entdecke ich nach wenigen Stunden wieder, was ich schon verloren geglaubt hatte: Meinen eigenen Rhythmus. Abseits vom unterschwelligen Wettbewerb, überzogenen Vorsätzen und Überanstrengung, gerate ich wieder in meinen eigenen Radfahr-Modus der Langstrecke. Ich komme an bei mir selbst und mit jedem weiteren Kilometer lasse ich meine Enttäuschung über die durchkreuzten Pläne zurück.
Dabei komme ich wieder zu der Erkenntnis, dass Planänderungen immer auch eine neue Form der Freiheit mit sich bringen. Der Einzige, der mein Radfahren kontrolliert, bin ich schließlich selbst. Und ich selbst bin viel freier, als mir oft bewusst ist.
Klar: Wenn man etwas durchzieht (was man zuvor groß angekündigt hat), wird einem zugejubelt, dann ist man auch stolz auf sich. Wenn es aber anders läuft als geplant, habe ich wiederum noch nie das Gegenteil erlebt. Niemand missachtet einen, weil der eigene Plan nicht aufging.
Es stimmt: Manchmal kommt alles anders als geplant.
Aber häufig kann man auch sagen: Manchmal kommt alles besser als geplant.
Die Hauptsache am Radfahren ist doch weniger das Durchsetzen der Pläne per se. Das Gewinnbringendste ist doch vielmehr überhaupt in Bewegung zu sein. Wer in Bewegung ist, kommt immer an und Ankommen ist immer toll. Der Ort ist dabei ganz egal.
„Wer in Bewegung ist, kommt immer an und Ankommen ist immer toll. Der Ort ist dabei ganz egal.“ Die Emotionen, nach einer langen Fahrt ankommend, intensiv… Am schönsten war dieses Ankommen bei mir immer, wenn ich den Moment alleine genießen konnte. Das zurück kommen/eintauchen im Alltag ist für mich immer schwer. Diesen „Rhythmus“ wieder zu erlangen. Drum mag ich das ungeplante auf dem Rad sehr.
Meist weiß ich, wo ich ankomme. Aber wie ich dahin komme, entscheide ich nicht im voraus. Oft biege ich auch mal ab, wo es gefällt, solange die grobe Richtung stimmt.
…danke für diese Zeilen. Und Gruß, Ralph
Vor elf Jahren habe ich mit meinem Sohn eine Alpenüberquerung mit dem Rad gemacht. Wir waren ca. drei Wochen unterwegs. Nach einem Unwetter hatte ein umgestürzter Baum den Weg versperrt. Wir haben die Räder zerlegt und in einer stundenlangen Plackerei in Einzelteilen über den gestürzten Baum durch die Baumkrone gehieft. Wochen später fragte ich meinen Sohn, was ihm denn am besten von unserer Tour gefallen hätte. Ich hatte damit gerechnet, dass er Den Monte Baldo oder Venedig erwähnt hätte, aber es war der Baum, der uns den Weg versperrt hatte.