Velo La France – Ein Reisebericht – Teil 3

Fortsetzung von Teil 1 und Teil 2.

Tag 2 – Wundervolle Landschaften, Platten und ein Tiefpunkt

Tag zwei meiner Reise beginnt um 5:30 Uhr. Auch wenn ich durch meine strategisch geniale Wahl meines Schlafplatzes nicht groß auffallen sollte, so will ich es dennoch vermeiden, unnötige Fragezeichen auf die französischen Gesichter der Anwohner zu zaubern, wenn plötzlich ein Radfahrer aus der Baggerschaufel vor dem Pferdestall steigt.

Außerdem gilt es weiterhin Kilometer zu fressen. Es stimmt. Ich habe gestern mehr als doppelt so viel Strecke hinter mich gebracht als ursprünglich geplant, doch der größte Teil der Strecke liegt immer noch vor mir. Wenigsten muss ich mir keine großen Sorgen machen, dass meine 7 Tage Urlaub zu wenig sind. Wenn ich weiterhin so voran komme wie jetzt, wird alles gut. Womöglich bleibt mir sogar Zeit für einen Pausentag. Einen halben zumindest.

Meine Gedanken, werden jäh unterbrochen von einem spektakulären Ausblick. Gerade als ich eine Anhöhe überwinde eröffnet sich vor mir eine malerische Landschaft. Die dämmrig warme Sonne geht gerade über dem Wald auf, während in den sich vor mir ausgestreckten Tälern dichte Nebelschwaden hängen. Dies ist ein zauberhafter Moment. So unwirklich, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich überhaupt schon wach bin. Die zauberhafte Stimmung umgibt mich während ich mit einem Lächeln in diese Landschaft rolle. Guten Morgen Tag 2. Guten Morgen Frankreich.

Ich finde auch als ich angestrengt suche keinen Kaffee. Alles schläft und ich fahre weiter. Das mache ich eigentlich immer: Weiterfahren. Einfach weiterfahren. Solange die Beine treten wollen, sollen sie treten können.

Ich bin mittlerweile sicherlich irgendwo nördlich von Paris. Eine Strecke liegt hinter mir, die man auf der Europakarte sicherlich schon erkennen könnte. Meine Gedanken fließen ziellos umher und meine Reifen rollen über einen Kilometer nach dem anderen.

Was irgendwann auffällt ist, dass es einfach sehr heiß ist. Ich ziehe mein Trikot aus was mir ein wenig mehr Kühlung verschafft. Das tut gut. Mittlerweile fällt es mir gar nicht mehr auf, dass es niemals flach ist in dem Teil Frankreichs in dem ich bin. Es geht entweder bergauf oder bergab. Mittlerweile bin ich  so im Tritt, dass ich keinen großen Unterschied mehr merke. Bergauf fahren heißt nichts anderes als langsamer fahren. Schön.

Die Innenstadt von Fismes bietet mir eine willkommene Abwechslung zu den endlosen Hügeln, Kartoffel- und Getreidefeldern. Hier finde ich auch eine Bäckerei in der ich einen Großeinkauf tätige. Ein Sandwich, eine Pizza, Orangina und Wasser. Bestimmt noch mehr, das weiß ich nicht mehr genau. Ich rolle weiter, doch mittlerweile ist es so heiß dass ich nur noch sehr langsam voran komme. Ich lege mich in den Schatten  und esse von meinen Einkauf auf. Ich hab meiner Hunger wohl unterschätzt.

Ich muss mir die Etappen einteilen. Das mache ich zwar schon durchgehend, doch muss ich mich selbst disziplinieren nicht einfach weiter zu fahren , wenn ich eins meiner Zwischenziele erreicht habe. Pause. Ich muss mich direkt zur Pause zwingen. Außerdem muss ich jede Gelegenheit Essen einzukaufen nutzen. Obwohl heute Montag ist, bin ich noch an keinem Supermarkt vorbei gekommen, so wie es mein Plan war.

Ich rolle weiter durch die Landschaft. Ab und zu halte ich an für ein Foto, um zu trinken oder um einen Platten zu reparieren. Ganz schön viele Platten.

Ich finde nach vielen Stunden doch meinen Kaffee. Zwar wieder in einem Schnellrestaurant doch das macht nichts, denn hier kann ich meine elektronischen Geräte an die Steckdose hängen. Das ist mittlerweile dringend notwendig. Mit dem WiFi Nachrichten an die Familie und die Freundin schicken. Klimaanlage genießen und Koffein aufnehmen. Hände waschen, auf die Karte blicken neue Zwischenziele festlegen.

Weiter geht es. Die nächst größere Stadt Reims bietet mir keinen Supermarkt direkt auf der Route. Diese führt mich durch die Stadt direkt an einem Kanal entlang und so auch wieder aus der Stadt hinaus. So finde ich jedoch endlich zu einer Abkühlung. Immer  wieder springe ich in das Wasser, das viel kälter aussieht, als es tatsächlich ist. Ein Schattenplatz. Ausstrecken kurze Atempause und Augenpause. Sehr kurz, denn ein Schulausflug beschließt neben mir ihr Lager aufzuschlagen und deren Bedürfnisse drehen sich weniger um Ruhe und Erholung. Dinge für die ich meine Pause gerne nutzen würde. Doch die von der Hitze und der Lautstärke ihrer Schüler überforderten Lehrer schaffen es nicht ihre Schützlinge zu bändigen und so ergreife ich die Flucht.

An einer Kanalschleuse finde ich endlich einen Supermarkt. Großeinkauf. Zumindest wie es mein Fahrrad zulässt. Was ich nicht finde sind Süßigkeiten, wie ich sie mir erhofft habe. Riegel oder etwas vergleichbares. Doch Dosenfisch, Käse, Baguette, Salami und Bananen sind sowieso attraktiver. Was nicht mehr in meine Taschen passt wird mit Klebeband fixiert.

Weiterfahren. Weiter und weiter. An Schnellstraßen von LKWs überholt werden, auf Schotterwegen Angst um die Reifen haben, Bergauf bergab, durch kleine Orte in denen alle Häuser etwas mit Landwirtschaft zu tun haben. Das große weiter Niemandsland der Piccardie. Endlose Ausblicke. Endlose Hitze.

Weiter immer weiter. Weiter durch die Hitze durch die Landschaft, durch die Landwirtschaft. Nach einigen Stunden geht mir die Landschaft auf den Wecker. Diese ewigen Felder und nirgendwo ein Schattenplatz. Ich muss mit meiner Laune kämpfen. Liegt vielleicht daran, dass ich noch keine Warme Mahlzeit in mir hatte. Auch die immer gleichen Ausblicke, gepaart mit der Hitze machen es mir gerade schwer meine Tour zu genießen.

An einer kleinen Kneipe in einem Ort mache ich halt. Ich kaufe eine Cola und eine Dose Bier aus dem Kühlschrank. Beides tut gut. Ich leere das Bier mit wenigen Schlucken. Innerhalb von 30 Sekunden bin ich sternhagelvoll. Nach drei Minuten bin ich wieder nüchtern. Ab aufs Rad. Hier ist es langweilig. Vielleicht wird es später ja noch interessanter.

Ich bin wieder auf der Straße und stelle fest, dass meine Mindestkillometer für heute absolviert sind. Alles was jetzt kommt ist Bonus. Fleißarbeit. Ich war wieder ein fleißiger Pedalarbeiter heute.

Zu viel Fleißarbeit komme ich nicht mehr, denn ein Platten zwingt mich zum Anhalten. Ein weiterer nach wenigen Minuten gleich noch einmal. Scheiße. Meine Besonnenheit schwindet mit den Flicken und den Ersatzschläuchen. Die immer noch anhaltende Hitze und die unterschiedlichen Straßenverhältnisse machen meinen Rädern und damit meinen Schläuchen schwer zu schaffen. Ich brauche dringend einen großen Supermarkt, ein Sportgeschäft oder einen Fahrradladen um mich besser auszustatten. Heute schaff ich das wohl nicht mehr. Es ist mittlerweile schon 21:00 Uhr.

Die Hitze ballert trotzdem noch genau so unbarmherzig wie den ganzen Tag über schon. Mein Garmin zeigt 35 Grad. Mein Wasser wird langsam auch knapp.

Als mein letzter Schlauch platzt stehe ich auf weiter Flur und habe meinen Tiefpunkt erreicht. Ich verfluche alles. Verfluche diese scheiß Hitze, dieses öde Land in dem es keine Geschäfte gibt, die Wege die meine Reifen ramponiert haben, die Schläuche, die laut Hersteller zwar ultra-leicht aber scheinbar auch ultra- scheiße sind.

Es kommt also viel zusammen in diesem Moment und ich brauche eine Weile bis ich mich wieder gefangen habe. Wenn ich jetzt hier rumheule bringt mich das erstens nicht weiter und zweitens merkt es eh kein Schwein. Ich fange an mein Rad zu schieben. Laut Navi sind es zur Nächsten Bushaltestelle und damit bis zur Anbindung an eine Infrastruktur noch 7 km. Auch wenn von dort heute kein Bus mehr fahren sollte, so kann ich dort vielleicht übernachten. Essen hab ich noch genug. Scheiße ist das trotzdem.

Ich muss nicht lange schieben, denn hinter dem nächsten Hügel treffe ich auf meine Schutzengel. Ein Ehepaar Louise und Dominik mit ihrem Pickup kommen mir entgegen. Sie halten an. Wir verstehen uns sprachlich zwar so gut wie überhaupt nicht. Deutlich wird jedoch, dass ich ein Problem habe. Ich brauche Ersatzteile für mein Rad und diese gibt es hier mitten im Nirgendwo nicht.

Als die beiden meine Lage verstanden haben laden sie mein Rad auf die Ladefläche ihres Pickups mich auf die Rückbank zu ihrem Hund und fahren mich einen 20 km weiter Umweg nach Sainte-Menehould. Dort halten sie vor einem Fahrradladen um mir zu zeigen wo dieser ist. Dieser  hat zwar mittlerweile geschlossen doch das ist mir heute wirklich egal.

Louise und Dominik laden mich im Zentrum von Sainte-Menehould ab. Sie weisen auf das ansässige Hotel und auf die Restaurants. Meine Dankbarkeit findet keine Worte in diesem Moment, erst recht nicht auf Französisch. Eine angemessene Gabe werde ich den beiden per Post schicken. An die Adresse die sie mir auf einen Zettel geschrieben haben. Danke danke danke!

Das  Hotel in Sainte-Menehould kostet 60 Euro pro Nacht. Ein Preis den ich bereit wäre zu zahlen angesichts meiner Strapazen heute. Doch das Hotel ist ausgebucht. So sagt man es mir zumindest an der Rezeption. Das muss ich akzeptieren, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob es vielleicht auch an meinem äußeren Erscheinungsbild liegt, das ich der kritisch blickenden Rezeptionistin biete. Auch egal. Schlafen kann ich überall.

Ich schiebe mein Rad stadtauswärts auf der Suche nach einem Schlafplatz. Immerhin ist es noch nicht dunkel, so fällt die Suche leichter. Währenddessen komme ich an dem Fahrradladen vorbei um festzustellen, dass dieser morgen ab 9:00 Uhr geöffnet hat. Damit steht fest, dass ich alle Zeit der Welt habe. An einem Getränkeautomat an einer Waschanlage finde ich endlich auch etwas zu trinken. Kein Wasser zwar, doch drei Dosen Eistee vermögen es meinen Dust zu stellen. Mein Kleingeld reicht sogar noch für zwei weitere Dosen auf Reserve.

Ich finde meinen Schlafplatz hinter einem ALDI. Ja auch den gibt es in Frankreich. Hier wird es keinen stören, dass ein Radfahrer seinen Schlafsack ausrollt. Außerdem kann ich dort morgen früh einkaufen gehen.

An diesem Abend schlüpfe ich früh in meinen Schlafsack. Mein Körper und auch meine Nerven brauchen dringend eine Pause. 166 km stecken mir heute in den Beinen und  obwohl es noch nicht ganz dunkel ist schlafe ich trotz deftigen Sonnenbrand wieder nach gefühlten 30 Sekunden ein.

Tageskilometer: 166km – Kilometer bisher insgesamt: 417 km

Fortsetzung hier.

Strava: https://www.strava.com/activities/1051365810/embed/744df6b27ae8aeb6671247fad3c41214efad859b

Für den Film der während meiner Reise entstanden ist gibt es hier schon einen kleinen Teaser:

 

 

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